4. Bericht Delegation Rojava: Zentrum der HPJ und Feministische Selbstverteidigung

„Wir müssen die Menschen hier verteidigen, Europa darf nicht schweigen, wenn die Bomben auf Afrîn fallen“ –

Mutter1 aus der HPJ Dêrîk

Um die Arbeit der HPJ und HPC zu verstehen muss ein grundlegendes Wissen über die Basis- und Rätedemokratie in Rojava bestehen, da es sich hierbei um gesellschaftliche Strukturen in den Kommunen handelt, die neben der Vernetzung in den Kommunen selbst, ebenfalls untereinander auf verschiedenen Ebenen organisiert sind. Speziell für die HPJ werden wir im Folgenden genauer darauf eingehen. Außerdem schildern wir das Gespräch mit den Müttern* der HPJ über globale Frauenbefreiung und gehen der Frage nach der Bedeutung von Selbstverteidigung nach.

In den Kommunen existiert eine eigene nachbarschaftliche Selbstverteidigung. Dabei handelt es sich um eine Struktur, die selbstorganisiert aus der Gesellschaft entstanden und für den Schutz der Menschen in der Kommune zuständig ist, also unabhängig von YPG und YPJ oder der Asayiş agiert. Ihr Name ist HPC und HPJ. Die HPC ist gemischtgeschlechtlich, die HPJ eine autonome Frauenorganisation, die sich auch im speziellen für die Belange und Sicherheit der Frauen* einsetzt.

Wir besuchten das Zentrum der HPJ für die Region Dêrîk, was bedeutet, dass hier die verschiedenen Verantwortlichen zusammenkommen und auch ansprechbar sind. Die meiste Zeit verbringen die Frauen* und Mütter* der HPJ aber in ihren Kommunen. Die HPJ existiert seit 2014 und ist aus der Gesellschaft entstanden, weil es zwar kämpfende Frauen* in der YPJ und YPG gab, aber keine selbstorganisierte Verteidigung aus den Nachbarschaften. Aufgrund des Bedürfnisses nach kommunaler Selbstverteidigung, fanden die Menschen sich als HPC und HPJ zusammen. Sie tragen keine Uniformen, sondern eigene Westen um sich klar von militärischen Strukturen (auch visuell) zu unterscheiden. In HPC und HPJ sind vorallem die „älteren“ Menschen organisiert. Das bedeutet im Falle der HPJ sind es meist die Mütter*. Vor der Revolution war die Situation der Frauen* sehr unsicher, sie konnten nicht alleine auf die Straße gehen. Es gab keinen Platz für Frauen* im öffentlichen Leben. Die HPJ versucht dies zu ändern, wobei auch sie als Vorbildfunktion dienen. Sie widersprechen dem konservativen Bild der Mütter* als Hausfrauen und brechen mit dem Tabu, dass Frauen* nicht an die Waffen dürfen. Aus diesen Gründen haben sie auch heute noch mit Anfeindungen und Ablehnung zu kämpfen. Ihre Hauptaufgabe besteht im Schutz der Nachbarschaft, speziell in der Sicherheit und Weiterbildung der Frauen*. Das bedeutet, sie machen Nachtschichten, stellen die Sicherheit auf großen Festen oder Demonstrationen uvm. Wenn es nötig ist, gehen sie auch an die Front und kämpfen dort. Ihr Aufgabenbereich richtet sich nach den Bedürfnissen und Begebenheiten in den Kommunen, in welchen sie auch leben und organisiert sind. Aufgebaut ist das System der HPJ wie folgt: es gibt in den Kommunen (also die Selbstverwaltung mehrerer Straßen) die HPJ, die dort in den Strukturen organisiert ist und die Menschen vor Ort gut kennt. Jede HPJ in den Kommunen hat eine Verantwortliche, darauf baut sich ein System von Stadtteilen, Dörfern, Städten und Regionen auf. Jeweils mit verantwortlichen Personen, die an die Basis angebunden sind. Alle stehen im Austausch zueinander und so wird eine basisdemokratische Zusammenarbeit gewährleistet. Die meiste Arbeit findet aber in den Kommunen statt, wo die Mitglieder der HPJ in engem Kontakt zu den Bewohner*innen stehen und somit z.B. von Problemen in den Familien erfahren. Neben der Sicherheit der Menschen, ist eine Hauptaufgabe der HPJ ebenfalls die Bildung der Frauen* in den Kommunen. Sie unterrichten die Frauen* in der Benutzung von Waffen und anderen Mitteln zur Selbstverteidigung, aber auch in Ideologie. Ihr Anspruch ist es, dass Frauen* lernen sich selbst zu verteidigen (notfalls auch mit einer Waffe) und die Möglichkeiten der Organisierung in den verschiedenen Frauenstrukturen wahrnehmen.

Wie es auch in späteren Berichten nochmal zur Sprache kommen wird, entstehen durch die Vielschichtigkeit der Organisationen innerhalb der Gesellschaft aber auch „Probleme“. Grundlegend besteht der Anspruch, dass Konflikte innerhalb der Kommunen gelöst werden. Öfter kommt es aber vor, dass Frauen* direkt zur HPJ kommen, um sie um Hilfe zu bitten (das gleiche Problem wird später nochmal bei der Azayîşa Jin und Mala Jîn auftauchen). Natürlich hilft die HPJ den Frauen*, wenn sie Hilfe benötigen, versuchen aber gleichzeitig sie zu motivieren und zu ermächtigen, selbst tätig zu werden und die Lösungen direkt in den Familien und der Kommune zu suchen. Dafür ist ein hohes Maß an Kommunikation von Nöten, aber auch ein langer Lernprozess. Dass das Problem der Umgehung von kommunalen Strukturen immer wieder thematisiert wurde, zeigt uns wie zentral die Ablehnung von Autoritäten ist und der Prozess der Selbstorganisierung kontinuierlich vorangetrieben wird.

Abschließen wollen wir unseren Bericht mit den Gedanken und Forderungen, die die Mütter* der HPJ uns mitgegeben haben. Wir haben mit ihnen viel über globale Frauenbefreiung und Möglichkeiten des Widerstandes gesprochen.

„In Europa gibt es keine Demokratie. Menschen die hier und an anderen Orten vor Krieg und Verfolgung fliehen, werden in Europa nicht aufgenommen. Sie werden abgeschoben und dann in den Ländern umgebracht. Das ist keine Demokratie“

Mutter* der HPJ

Die Frauen* brachten uns eine starke Kritik entgegen. Sie sprachen von den Angriffen auf Afrîn und den Grausamkeiten des Krieges. Sie fragten, warum Europa nichts unternommen hat. Warum die Welt schweigend zugesehen hat, als so viele Menschen ermordet und vertrieben wurden. Sie fordern von ihren Genoss*innen und Schwestern* auf der Welt, an ihrer Seite zu stehen und überall auf der Welt mit ihnen zu kämpfen. Mit ihrer Kritik wollten sie nicht die kämpfenden Frauen* der Welt angreifen, sondern die verbrecherischen Institutionen der EU, NATO und des ganzen Systems. Wir müssen gemeinsam dagegen kämpfen, nicht nur für die Frauen* in Rojava. Sie erklärten uns immer wieder, dass ihrer Auffassung nach keine Frau* frei sein kann, solange es noch eine unterdrückte Frau* auf dieser Welt gibt. Wir brauchen eine globale Frauenrevolution:

„Wir müssen als Frauen* überall auf der Welt gemeinsam kämpfen, nur so können wir die Frauen* überall auf der Welt befreien“

– Mutter* der HPJ

Sie sind dabei ein Teil dieser globalen Frauenrevolution, sie kämpfen nicht nur für die Befreiung der kurdischen Frauen* oder für Rojava (wobei die HPJ, wie alle anderen Strukturen in Rojava, nicht nur aus kurdischen Frauen* besteht, sondern auch arabische, alevitische und andere Frauen* in ihr organisiert sind). Sie wollen für alle Frauen* auf der Welt ein Beispiel sein, dass auch Mütter* und „ältere“ Frauen* Widerstand leisten können. Wenn wir von ihnen erzählen, sagten sie uns, sollen wir zeigen, dass auch die Mütter* Teil der Revolution in Rojava sind, aber vor allem sollen wir selbst zu Hause weiter kämpfen. Die Fotos die wir gemacht haben, dürfen wir veröffentlichen, wenn wir damit folgendes ausdrücken:

„Wir wollen ein Beispiel des Widerstandes sein, wir wollen zeigen, dass sich keine Frau* auf der Welt unterdrücken lassen muss. Auch nicht die Mütter* und die älteren Frauen*.“

– Mutter* aus der HPJ

 

Exkurs: Organisierung und Selbstverteidigung

An dieser Stelle müssen wir betonen, wie sehr uns das Treffen mit den Frauen* der HPJ beeindruckt hat und wie wir in der heutigen Situation an ihre starken Worte denken. Heute fallen die Bomben wieder und die starken Frauen und Mütter verteidigen ihre Nachbarschaften und Kommunen. Sie haben betont, wie sehr sie unsere Solidarität brauchen und das wir an unseren Orten kämpfen müssen, für Rojava und die globale Frauenbefreiung.

Im folgenden werden wir kurz auf das Konzept der legitimen Selbstverteidigung der kurdischen Freiheitsbewegung eingehen, um dann zu skizzieren, was feministische Selbstverteidigung in unserem lokalen Kontext bedeuten kann.

„Zu den wichtigsten Themen gehört die Frage der Selbstverteidigung von ökonomischen, ökologischen und demokratischen Gesellschaften sowie freier Individuen gegen die monopolistische Repression und Ausbeutung durch die Elemente der kapitalistischen Moderne, also den Nationalstaat, den Kapitalismus und den Industrialismus. Ein Leben ohne Selbstverteidigung führt nur in die Lohnsklaverei oder zu Arbeitslosigkeit, Krankheit und Zerrüttung. Schlimmer noch, es bringt eine Vielzahl von physischen und kulturellen Genoziden mit sich. Die Moderne als System zwingt die Gesellschaft und ihre Individuen ganz allgemein, insbesondere aber demokratische Gesellschaften und freie Individuen, zur Verteidigung ihrer Existenz.“2

Abdullah Öcalan

Das Prinzip der Selbstverteidigung bedeutet weit mehr als nur die militärische Verteidigung einer Gesellschaft. Grundsätzlich gilt die „Theorie der Rose“3, also der Ansatz des Aufbaus einer Gesellschaft, die sich selbst verteidigt. Dies soll eben nicht nur durch die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG/YPJ möglich sein, sondern auch durch die verschiedenen zivilen Organisationen. Das Prinzip der Legitimen Selbstverteidigung beruht auf dem Verständnis Eskalationen und kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden, sobald dies möglich ist. Jeglichem militärischen Agieren soll ein reagierender Charakter zu Grunde liegen, ist eine nicht-militärische Lösung möglich, wird diese vorgezogen.

Wie oben im Zitat Abdullah Öcalan’s sichtbar, besteht die Notwendigkeit in der heutigen kapitalistischen und repressiven Welt sich als „demokratische Gesellschaft“4 stetig selbst zu verteidigen. Das heutige globale System ist dermaßen repressiv und gewalttätig, dass sich zwangsläufig jeder auf irgendeine Art verteidigen muss, wer als „freies Individuum“ überleben will. Um eine demokratische Gesellschaft zu entwickeln und alternatives Zusammenleben aufzubauen, benötigt es dementsprechend einen gut organisierten Selbstschutz, der diese Angriffe abwehren kann. Wie hart die Angriffe sein können, haben wir in Afrîn gesehen und sehen wir am grausamen Angriffskrieg des türkischen Staates heute.

Selbstverteidigung bedeutet ebenfalls, wie wir im Falle der HPJ gesehen habe, dass die Gesellschaft sich organisiert und ihre Konflikte und Probleme selbstständig löst. Dies wird u.a. durch die Organisierung in Kommunen, der HPC/HPJ, Mala Jin5 und durch Bildung erreicht. Ziel ist der Aufbau einer Selbstverwaltung, in der nicht der Staat (mit Polizei und Gerichten) als Ansprechpartner und Autorität über die Menschen waltet, sondern Konflikte und Probleme eigenverantwortlich gelöst werden. Solche kommunale Zusammenschlüssen sind am Ende auch in der Lage, sich gegen die Angriffe der gewalttätigen Realität zur Wehr zu setzen.

Feministsche Selbstverteidigung Hier

Wie kann feministische Selbstverteidigung organisiert werden? Und was verteidigt sie? Feministische Selbstverteidigung schützt nicht nur die körperliche und seelische Unversehrtheit, sie sollte gleichzeitig in der Lage sein, die Existenz als „Freie Frau*Lesbe*Trans*Inter“ zu verteidigen, aber auch sexistisches Verhalten zu verändern. Das bedeutet, FLIT*s ermächtigen sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien und für ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben zu kämpfen, gleichzeitig männlich sozialisierte Personen anstoßen gegen die verinnerlichten Verhaltensmuster vorzugehen. Feministische Selbstverteidigung sollte als kollektiver Prozess verstanden werden, indem der Schutz der eigenen Freiheit und Unversehrtheit einhergeht mit der Verteidigung eines freiheitlichen Lebens aller (nicht nur) FLIT*Personen, was im direkten Zusammenhang mit dem Bruch patriarchaler Strukturen steht. Dies bedeutet, feministische Selbstverteidigung ist durchaus nicht nur Aufgabe von FLIT*s, sondern muss Grundlage jeder radikalen Politik sein. Wir müssen also nicht nur lernen, wie wir uns verteidigen können, sondern auch warum wir das tun. Aktuell droht uns selbst das urfeministische Thema der Gewalt gegen FLIT*Personen zu entgleiten und in die Deutungshoheit von Rechtspopulist*innen und Faschist*innen, wie z.B. der „Identitären Bewegung“ mit ihrer „120db“ Kampagne, zu fallen. Wir müssen dringend Antworten und Wege der Artikulation finden, um den rassistischen Diskurs entgegenzutreten und klar zu machen, das wir als FLIT*s uns nicht anhand von rassistischen und völkischen Kategorien in „wertvolle“ und „unwertvolle“ Leben unterteilen lassen.. Wir müssen anstatt unsere Differenzen und ihren vermeintlichen Unvereinbarkeiten zu betonen – trotz und mit unseren Unterschieden – eine Solidarität aufbauen, die uns ermächtigt zu kämpfenund die gleichzeitig ein Schritt in Richtung gemeinsame Organisierung und Widerstand gegen das globale kapitalistische Patriarchat darstellt.

In der Praxis sind die bekanntesten und naheliegenden Beispiele wohl Selbstverteidigungskurse für FLIT*Personen, also die Weiterbildung und Ermächtigung von FLIT*s sich körperlich und seelisch selbst zu wehren. Diese Bildungen sind grundlegend für den Selbstschutz und müssen unbedingt ausgebaut und über die Szene hinaus angeboten werden. In den Kursen geht es nicht nur um die körperlichen Fähigkeiten, sondern vielmehr darum die Blockaden im Kopf zu überwinden, aber auchum theoretische Bildung. Die weibliche* Sozialisation sieht Widerstand gegen den Unterdrücker nicht vor, wir lernen von klein auf, dass wir Gewalt und Unterdrückung zu ertragen haben, dass wir „Opfer“ sind. Diese verinnerlichte Rolle muss aufgebrochen und zerstört werden. Weiterbildung und das Entwickeln eines Verständnisses von Unterdrückung und Herrschaft stellt eine Grundlage (nicht nur) der feministischen Selbstverteidigung dar. In Zeiten, in denen „die Frauenfrage“ in Westeuropa als gelöst betrachtet, Gewalt gegen FLIT*Personen auf „die Fremden“ projiziert wird und somit jegliche strukturelle Unterdrückung und Gewalt als individuelles Problem der FLIT*Person erscheinen (Gewalterfahrungen in die vermeintliche „Privatheit“ gedrängt werden), bedarf es einer genauen Analyse und Vermittlung, um die Herrschaft des Patriarchats erneut aufzuzeigen. Um sich gegen Unterdrückung und Gewalt in Familie, Beziehung, Alltag, Lohnarbeit und so weiter zu wehren, brauchen wir ein Verständnis von patriarchaler, rassistischer und kapitalistischer Herrschaft, damit die eigenen Erfahrungen überhaupt erst in Zusammenhang gebracht und somit als strukturelle und eben nicht als individuelle Probleme verstanden werden. Feministische Selbstverteidigung benötigt dieses Fundament. Auch die Bildung von männlich sozialisierten Personen muss dabei eine Rolle spielen, was aber nicht bedeutet, dass dieses rein als Aufgabe der FLIT*s gesehen wird. Männlich sozialisierte Genossen* (bzw. alle Männer*) müssen es als ihr eigenes Ziel betrachten, ihre Sozialisierung zu überwinden und ihr Verhalten stetig in Frage zu stellen. Um es mit den Worten Ingrid Strobls auszudrücken:

„Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern bekämpfen, Frauen, die der patriarchalen Norm, diesem zähen und erbitterten Feind des Mensch-Seins den Krieg erklären, Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im wahren Sinne des Wortes radikal aufheben wollen, bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden.“6

Eine weitere Form der notwendigen Selbstverteidigung stellt die Hilfe und Unterstützung von Betroffenen sexualisierter und patriarchaler Gewalt dar. Dafür müssen wir die verschiedenen Ansätzen studieren, Empathie erlernen und auch an unserem eigenen Verhalten arbeiten. Erlebte Solidarität, eigenes Mitbestimmungsrecht und selbstbestimmtes Handeln kann nach solchen Erfahrungen dabei helfen, diese zu verarbeiten und nicht daran kaputt zu gehen. Kollektive Selbstermächtigung und Selbstverteidigung sind in einer Gesellschaft, in der FLIT*s alltäglich Gewalt ausgesetzt sind und die ihnen gleichzeitig immer das Gefühl der individuellen Schuld zugewiesen wird, unverzichtbar. Wenn wir als Feminist*innen zusammen kämpfen wollen, auch über die Szene hinaus, muss ein Verständnis von sexualisierter und patriarchaler Gewalt geschaffen und die Möglichkeit dagegen zu handeln entwickelt werden, um gegen diese Gewalt auch gesellschaftlich vorgehen zu können.

Selbstverteidigung kann auch sein, sich gemeinsam zu verabreden, wenn wir in Klubs, Bars und andere für FLIT*s zum Teil sehr unsichere Orte gehen. Ein Kollektiv, das sich (vorher abgesprochen) im Notfall zur Wehr setzen kann, macht uns handlungsfähig und ist dazu in der Lage, die passive Rolle des „Opfers“ zu überwinden und somit auch Klubkultur zu verändern. Auch die Aneignung von Plätzen kann in das Repertoire von feministischer Selbstverteidigung aufgenommen werden, Aktionen des „gemeinsamen Cornerns“ gab es bereits, die Idee dahinter ist sich Plätze als FLIT*s gemeinsam zurück zu erobern, die allein vielleicht nicht mehr betretbar sind. Allgemein gilt, dass die Schwelle sich selbst zu verteidigen sinkt, wenn wir einen starken Rückhalt haben und sobald wir lernen, dass wir dazu in der Lage sind. Dafür ist die Organisierung und gegenseitige Weiterbildung in physischen und theoretischen Grundlagen ausschlaggebend. Grundlage dessen ist Solidarität und der gemeinschaftlich Kampf gegen das Patriarchat, für die Freiheit aller Menschen.

„Unser Traum ist, daß es überall kleine Frauenbanden gibt – wenn in jeder Stadt ein Vergewaltiger, ein Frauenhändler, ein prügelnder Ehemann, ein frauenfeindlicher Zeitungsverleger, ein Pornohändler, ein schweinischer Frauenarzt damit rechnen und sich davor fürchten müßte, daß eine Bande Frauen ihn aufspürt, ihn angreift, ihn öffentlich bekannt und lächerlich macht – also z.B. an seinem Haus steht, wer er ist, was er getan hat – an seiner Arbeitsstelle, auf seinem Auto – Frauenpower überall!“

– Rote Zora 1984


1Wir werden im Folgenden öfter von „Müttern“ sprechen. Es handelt sich dabei um eine Eigenbezeichnung, die wir übernehmen, weil sie den Frauen* sehr wichtig ist. Zum einen weil es die Rolle der „Mutter“ als eine starke Identität verstanden wird, zum anderen weil die Frauen* uns damit deutlich machten, das sie trotz ihrer familiären Verpflichtungen und der Zuschreibung einer traditionellen Rolle, mit positiven Bezug auf diese Identität Widerstand leisten.

2 Abdullah Öcalan, Gefängnisschriften: Die Roadmap für Verhandlungen (2013) S.41

3 Anja Flach: Die Theorie der Rose: Die Verteidigung von Rojava. In: Revolution in Rojava. Tatort Kurdistan, S.196

4Wenn bei Abdullah Öcalan und in der Ideologie der kurdischen Freiheitsbewegung von „demokratischen Gesellschaften“ die Rede ist, meinen sie damit keineswegs das heutige System der „repräsentativen Demokratie“ wie es z.B. in Deutschland existiert. Demokratie bedeutet die Freiheit der Individuen bei gleichzeitiger Freiheit der Gesellschaft, direkte politische Partizipation über selbstverwaltete Kommunen, Selbstorganisierung der Gesellschaft, die Möglichkeit unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Religion, etc. Teil der Gesellschaft und des politischen Systems sein zu können. Dies ist in kapitalistischen, patriarchalen und rassistischen Gesellschaften nicht möglich.

5Mala Jin bedeutet soviel wie „Frauenhaus“, ist aber nicht zu verwechseln mit z.B. deutschen Frauenhäusern. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Struktur zu Lösung von Konflikten im Interesse der Frauen*. Wir werden in einem zukünftigen Bericht noch genauer darauf eingehen.

6Ingrid Strobl: Angst vor den Frösten der Freiheit. In: Drei zu Eins