5. Bericht Delegation Rojava: Asayişa Jin in Dêrîk

Wir werden in unserem Bericht nur kurz auf die Aufgaben der Asayişa Jin eingehen. Wir empfehlen auch hier in das Buch von Tatort Kurdistan „Revolution in Rojava“ zu blicken und sich darüber hinaus über die Asayiş und das Rechtssystem in Rojava zu informieren1.

Wir besuchten die Asayişa Jin in Dêrîk. Sie ist die Frauenorganisation der Asayiş. Asayiş bedeutet so viel wie „Sicherheitskräfte“, der Begriff „Polizei“ wird strikt abgelehnt, da sie ihre Aufgabe nicht in der Verteidigung des Staates sehen, sondern der Gesellschaft. Diese Unterscheidung soll damit zum Ausdruck kommen. Ihre Aufgabe besteht zum einen darin die Gesellschaft vor Angriffen von Außen zu schützen und zum anderen greift sie in alle inneren Konflikte ein, die über das Lösungspotential der gesellschaftlichen Strukturen hinausgeht (z.B. Mord, Totschlag, patriarchale Gewalt). Sie sind an das Gericht angebunden und berechtigt Menschen festzunehmen. Denn auch in Rojava gibt es Gesetze, gegen die verstoßen wird. In diesen Fällen kommt die Asayiş zum Einsatz. Die Asayişa Jin stellt die Frauenorganisation innerhalb der Sicherheitskräfte dar. Sie gelten besonders für Frauen* als wichtige Ansprechpartnerin und greifen damit zusätzlich vor allem bei patriarchaler Gewalt gegen Frauen* ein. Dies ist fundamental, da Frauen* so die Chance haben darüber mit Frauen* offen zu kommunizieren, denn die Hemmschwelle über Erfahrungen häuslicher Gewalt oder sexualisierten Übergriffen in gemischtgeschlechtlichen Zusammenhängen zu sprechen, liegt sehr hoch.

Um den Schutz der Gesellschaft von Außen zu garantieren, kontrollieren die Asayiş/ Asayişa Jin unter anderem die Checkpoints in den Städten. Wie auch die YPG/ YPJ achten sie dabei auf Autobomben, Agent*innen, Attentäter*innen und versuchen Angriffe zu verhindern und abzuwehren. Ihr innergesellschaftliches Handeln bezieht sich auf das Eingreifen bei „schweren Verstößen“, also Mord, Totschlag, Drogenhandel oder Verstößen gegen die Frauengesetze2. Die Asayiş/ Asayişa Jin kann Menschen festnehmen und sie in Gewahrsam festhalten. Ohne Gerichtsbeschluss bis zu 24 Stunden. Außerdem nimmt sie Menschen fest, sobald das Gericht dies anordnet. So gesehen funktioniert sie wie eine übliche Polizei. Neben dem Gericht arbeiten die Asayişa Jin/ Asayişa eng mit den gesellschaftlichen Strukturen zusammen. Im Falle der Asayişa Jin sind das vor allem die Strukturen von Mala Jin und Kongra Star. Das Rechtssystem von Rojava ist in Räten und Kommissionen organisiert. Die Basis bildet der Gesellschaftsvertrag von der demokratischen Förderation Nord-Syrien, aber auch andere Gesetzgebungen wie die genannten Frauengesetze. Gesetzesinitiativen entstehen aus dem Räte- und Kommissionsystem, und können über verschiedene basisdemokratische Stufen eingebracht und geprüft werden. Das Rechtssystem ist weniger nach Strafe ausgerichtet, als viel mehr auf Resozialisierung, Analyse der Taten und Bildung der Personen. Eine Gefängnisstrafe ist somit nicht zwangsläufig als Bestrafung gedacht, eher soll in der Zeit ein Weg gefunden werden, die Tat zu verstehen, die Umstände zu verändern und den*die Täter*in weiterzubilden. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass die Menschen nach dem Aufenthalt im Knast wieder irgendwo leben können und nicht auf der Straße landen.

Außerdem muss betont werden, dass viele Konflikte innerhalb der Gesellschaft gelöst werden, ohne das die Asayişa Jin/ Asayiş eingreift3. Dafür gibt es unzählige gesellschaftliche Strukturen. Bloß bei schweren Vergehen wie schweren Gewaltdelikten, Verstößen gegen die Frauengesetze oder der „Zerstörung kommunalem Lebens“ tritt die Asayişa Jin/ Asayiş auf. Sie handelt dabei aber immer angebunden an das Rechtssystem.

Offiziell gegründet haben sich die Asayişa Jin 2015 und sind autonom von der Asayiş organisiert. Der Prozess der Organisierung begann bereits im Vorfeld, vor 3 Jahren haben sie sich dann offiziell gegründet. Die Asayişa Jin (wie auch die Asayiş) haben mehrmals im Jahr Bildungen. Die Asayişa Jin bekommt zusätzlich Bildung von Kongra Star4, die speziell auf die Ideologie der Frauenbefreiung ausgerichtet ist. Wer Teil der Asayişa Jin sein möchte, muss im Vorfeld eine Ausbildung absolvieren, die neben praktischen Fähigkeiten auch ideologische Bildung beinhaltet. Sie verdienen einen Lohn, der sich nach ihren Lebensverhältnissen richtet (also Menge der zu ernährenden Personen etc.), der durchaus aber keinen materiellen Anreiz darstellt. Teil der Asayişa Jin/ Asayiş zu werden, liegt wohl eher in der Überzeugung begründet. In der Asayişa Jin Dêrîk sind zur Zeit der Delegation 66 Frauen* tätig. Die Kommandantin ist 21 Jahre alt und seit 7 Jahren innerhalb der Struktur organisiert (also bereits vor der offiziellen Gründung).


1 Michael Knapp: Asayiş- Sicherheitskräfte der Gesellschaft, nicht des Staates. In: Revolution in Rojava, Tatort Kurdistan // Ercan Ayboga: Das neue Rechtssystem in Rojava. Der Konsens ist entscheidend. In: ebd.

2In Rojava wurden auf Grundlage der gesellschaftlichen Frauenstrkruren (wie z.B. Mala Jin, Kongra Star) sogenannte Frauengesetze erlassen. Diese verbieten u.a. Zwangsehen, Heirat unter 18 Jahren, jegliche Gewalt gegen Frauen*, Mehrfachehen, Prostitution und Brautpreise.

3Wenn wir über Mala Jin berichten werden, wir dies noch einmal klarer. Hier werden wir auch Beispiele anbringen, die zeigen, dass bei Konflikten die durchaus an die Asayişa Jin weitergeleitet werden könnten, nichts dergleichen unternommen wird, sondern eigene Wege der Konfliktlösung gesucht werden. Auch in der Zusammenarbeit zwischen Asayişa Jin und Mala Jin entwickelt die Asayişa Jin nicht zwangsläufig das Interesse einzugreifen, wie es zum Beispiel in Deutschland der Fall bei „anzeigungspflichtigen Delikten“ ist, wodie Polizei ohne das Einverständnis der Betroffenen Personen ermittelt und handelt.

4Kongra Star ist soviel wie der Dachverband der Frauenorganisationen in Rojava. Ein Bericht über sie wird folgen.