Für ein “Internationalistisches Zentrum” in Dresden

Die Zeiten sind unsicherer geworden! Momentan erleben wir eine multiple Krise – ökologischer und sozialer Natur – der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften, die sich zu einer Weltsystemkrise des Kapitalismus zugespitzt hat und mit dem immer offenkundigeren Versagen der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie zusammenhängt.

Die Bewältigungsstrategien reichen von der fortschreitenden Zerstörung sozialer Sicherungssysteme über das deutsch-europäische Spardiktat bis zur Abschottung der EU, die tausende Tote an den Außengrenzen zu verantworten hat. Im Fahrwasser der Strategien zur Erhaltung der neoliberalen Formation erstarken rechtspopulistische und rassistische Bewegungen und Parteien und werden in ihrer Hetze stellenweise von den herrschenden Eliten noch überholt. In Dresden zeigen sich diese u.a. in Form von PEGIDA allmontäglich auf den Straße und Übergriffe auf Unterkünfte und Refugees sind an der Tagesordnung. Der Ruf nach starken, souveränen Nationen wird immer lauter – nicht nur von rechts. Der nationalistische rollback wird auch von Linken gefordert, so etwa durch Sahra Wagenknecht bei den Blockupy Protesten 2015. Der Nationalstaat als Garant für begrenzten Wohlstand ist allerdings einerseits von den Entwicklungen des globalisierten, neoliberalen Kapitalismus längst überholt. Andererseits vergessen die nationalistischen Linken, dass es sich bei der Nation um ein Herrschafts- und Ausgrenzungskonstrukt handelt, das die Kosten seiner Entwicklung meist auf die Peripherie abwälzt.

Und wir?

Wir, das sind die Gruppen Dresden Postkolonial und Ausser Kontrolle. Beide Gruppen sind kulturell und politisch in verschiedenen Bereichen aktiv.

Dresden Postkolonial ist eine offene, interdisziplinär arbeitende Gruppe. Sie forschen zur Dresdner Kolonialgeschichte, dokumentieren diese und machen unter anderem rassismuskritische und postkoloniale Bildungsarbeit in Form von (postkolonialen) Stadtrundgängen, Seminaren und Vorträgen.

AusserKontrolle ist eine antiautoritäre Organisierung und beschäftigt sich mit Themen wie Sicherheit, Überwachung, Migration bzw. Flucht und sozialen Bewegungen. Sie sind im “Ums Ganze…” Bündnis und bei der europaweiten, antiautoritären Plattform “Beyond Europe” organisiert.

Zusammen mussten wir schmerzlich und zum Teil sehr deprimiert feststellen, dass in Dresden emanzipatorische Ansätze aus verschiedenen Gründen keinerlei gesellschaftliche Relevanz besitzen – das gilt aber auch über Dresden hinaus. Wir sind zu uninformiert, unvernetzt und vor allem unorganisiert. Darum müssen wir ansprechbarer und sichtbarer werden und uns verbindlicher zusammenschließen – uns an konkreten Orten auch konkret organisieren. Der “linke Szenesumpf” muss dafür verlassen werden. Wenn wir wirkmächtig werden, uns mit den Problemen unsere Zeit konfrontieren und den rassistischen Normalzustand in Dresden angreifen wollen, dann brauchen wir antiautoritäre Alternativen, die gesellschaftsoffen sind. Das liegt für uns auf der Hand.

Denn auch die Emanzipation hat Chancen in der Krise!

Trotz des Vormarschs von völkischem Hass und rechter Gewalt ist deutlich spürbar, dass es immer mehr Menschen gibt, die gemeinsam mit Geflüchteten kämpfen wollen. Anstatt in einer selbstgefälligen Abgrenzung gegen eine Willkommensbewegung zu erstarren, müssen wir diese politisieren und damit sprachfähig gegenüber der Abschottungspolitik der EU machen. So zeigten bspw. Proteste im August gegen die Verlegung von 51 Geflüchteten von Leipzig – Connewitz nach Heidenau, wie eine emanzipatorisch – antirassistische Praxis aussehen kann, die über die Parole “Refugees are Welcome Here” hinausgeht. Da wir dies unterstützen und ausbauen wollen, sehen wir gerade darin einen von vielen Ansatzpunkten für die Diskussion über einen neuen Internationalismus und darüber wie die historischen und gegenwärtigen Zustände weltweit miteinander verwoben sind. Die Folgen extremer Ausbeutung von Mensch und Natur, von (Wirtschafts-)Kriegen oder kolonialer Geschichte sind Fluchtgründe. Dies erfordert eine gemeinsame Suche nach einer in lebenswerten Welt für die wir auch gemeinsam eintreten müssen.

Eine emanzipatorische Bewegung, die dies leisten kann, entsteht jedoch nicht von allein. Es braucht Bewusstsein über die verschiedenen Herrschaftsmechanismen, globalisierten Austausch von Gegenstrategien sowie Erfahrungen im Kampf gegen Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung. Deswegen ist es für uns unerlässlich transnational zu kämpfen. Dabei gilt es, aus den Fehlern vergangener Ansätze zu lernen. Transnationale Solidarität und Aktivismus lassen sich nicht auf dem Reißbrett entwerfen. Auf der Suche nach Strategien entstand die Idee des „Internationalistischen Zentrums“, welches wir im Dezember 2015 in Dresden im Stadtteil Pieschen eröffnen werden.

Warum wir in Dresden ein “Internationalistisches Zentrum” brauchen?

Wir werden in Dresden einen Ort schaffen, der genau diesen Austausch fördern kann. Es soll ein Raum für emanzipatorische Ideen und radikale Kritik entstehen: Eine Einladung, Perspektiven zu wechseln und so zu ermöglichen, Mechanismen verschiedener Herrschaftsformen zu verstehen und konkrete Gegenstrategien in Theorie und Praxis zu entwickeln. Es ist notwendig, aus den Geschichten der verschiedenen Internationalismen zu lernen und sie kritisch zu beleuchten. Die Angebote u.a. aus Rojava / Syrisch-Kurdistan (demokratischer Konförderalismus) und Chiapas (Zapatismus) müssen dafür aufgenommen, kritisch geprüft und gegebenenfalls als Orientierung sichtbar gemacht werden. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie wir Solidarität leben und ausweiten können und gleichzeitig unterschiedliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen reflektieren. Ohne eine stetige und langfristige Kommunikation miteinander kann das nicht funktionieren – diesen Austausch über Grenzen hinweg wollen wir fördern und praktisch nutzen. Dazu gehört u.a. das Aufzeigen und Sichtbarmachen von Perspektiven und sozialen Kämpfen weltweit. Vorträge, Diskussionen, Filme, Radiosendungen, Theaterstücke und Stadtrundgänge sind einige der Möglichkeiten. Wir wollen mit dem “Internationalistischen Zentrum” eine Relaisstation schaffen, die den globalen Dissens auf lokale Verhältnisse übersetzen kann ohne dabei gleichzusetzen. Delegationsreisen in alle Richtungen sind hier ebenso denkbar und wünschenswert, wie die konkrete Organisierung im Viertel und mit Geflüchteten. Auch hier gibt es bereits einige Ideen wie dies praktisch umgesetzt werden könnte.

Das “Internationalistische Zentrum” soll gleichermaßen ein Arbeits- und Treffpunkt sein. Ab Dezember 2015 sind wir offiziell ein Teil des selbstorganisierten Wohn- und Kulturprojekts “Zentralwerk” in Dresden. Auf ca. 55 m² haben wir dann Platz für Treffen und Selbstorganisierung. Außerdem können wir nach Absprache einen großen Veranstaltungssaal und die entstehende Kiez-Bar nutzen. Ein zweiter, etwa 200 m² großer Raum, könnte unsere Möglichkeiten und die Struktur des “Internationalistischen Zentrums” noch erweitern. Das “Internationalistische Zentrum” ist unser Ausgangspunkt für die Veränderung der politischen Kultur in Dresden. Es muss als Teil einer mittel- bis langfristigen Strategie verstanden werden, um kämpferische Positionen zu entwickeln. Es ist noch vieles offen, aber ein erster Schritt wurde getan.

Und wie wollen wir all das finanzieren?

Wir haben uns bewusst gegen die Förderung durch Stiftungen entschieden. Wir wollen der Parteienpolitik, auch parteinahe Stiftungen gehören für uns dazu, eine klare Absage erteilen. Wir wollen uns nicht von diesen Strukturen abhängig machen. Wir setzen stattdessen auf eure Solidarität und wollen uns eigene und solidarische Netzwerke schaffen, mit denen wir unsere angestrebten Projekte und Ideen finanzieren können. Wenn ihr das unterstützenswert findet, könnt ihr gern einen monatlichen Dauerauftrag einrichten. Über die Höhe des Betrages entscheidet ihr. Jeder Betrag freut und hilft uns. Solltet ihr uns durch Übersetzungsarbeit, in ideeller oder anderweitiger Form unterstützen wollen, dann meldet euch bei uns einfach per Mail.

Wir werden die politische Meinungsbildung und Deutungshoheit in Dresden nicht PEGIDA überlassen!

Gerade jetzt ist es wichtig Räume zu schaffen, Vernetzungen und Organisierung zu stärken und die Perspektive zu weiten!