Interview mit Project Shelter aus Frankfurt (Main)

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Wir haben beim No Border Camp ein Interview mit unseren Genoss*innen vom Project Shelter aus Frankfurt am Main geführt. Project Shelter ist eine Initiative, die sich für selbstorganisierten Wohnraum und ein Soziales Zentrum einsetzt. Wie sie das tun und was sie bewegt, könnt ihr hier auf englisch anhören oder auf deutsch nachlesen.

IZ: Könnt ihr kurz euer Projekt vorstellen und erzählen wie es entstanden ist?

S.: Als erstes, mein Name ist S. Project Shelter ist eine Gruppe an Menschen, die zusammenkam um Schlafplätze für verschiedene Migrant*innen und Nicht – Migrant*innen zu schaffen. In der Gruppe sind verschiedene Aktive aus Asien, Afrika oder Deutschland.

M: Ich werde ein wenig darüber erzählen, wie alles entstanden ist. Wir haben im Dezember 2014 angefangen. Damals gab es viele wohnungslose Geflüchtete und Migrant*innen in Frankfurt, also versuchten wir Schlafplätze zu finden, z.B. in Privatwohnungen, um dann die Menschen die Schlafplätze haben mit denen zu verbinden, die welche brauchen. Schnell fanden wir heraus, dass es nicht genügend Schlafplätze für alle gibt und dass wir nicht die Sozialarbeiter*innen der Stadt Frankfurt sein wollen. Dann haben wir begonnen nach einer politischen Lösung zu suchen, so haben wir angefangen.

IZ: Wie ist die aktuelle Lage in Frankfurt?

S: Die aktuelle Situation in Frankfurt ist die, dass wir weiter nach Schlafplätzen suchen, weil so viele Menschen kein Obdach haben und unter der Brücke oder am Bahnhof schlafen müssen. Es ist sehr schwer Schlafplätze für sie zu finden.

J: Außerdem versuchen wir ein Zentrum für migrantische Selbstorganisierung zu schaffen, dafür haben wir bis jetzt drei verschiedene Häuser zeitweise besetzt. Die ersten zwei gehörten der Stadt oder der Wohnungsgenossenschaft, aber wir bekamen keinerlei Unterstützung. Sie ließen uns räumen. Die Stadt sagt immer, dass sie uns unterstützen will, aber sie tun es nicht. Es sind nur leere Versprechungen.

M: Ich denke am schlimmsten waren die Grünen. Sie behaupteten, es gäbe keine obdachlosen Migrant*innen und Refugees in der Stadt. Wir sollen Statistiken vorweisen um das Gegenteil zu beweisen. Aber wir sind gar nicht in der Position irgendwelche Statistiken anzufertigen.

IZ: Haben sich eure Erfahrungen mit dem was ihr euch am Anfang gedacht habt gedeckt? Musstet ihr viele Kompromisse eingehen?

M: Ich denke am Anfang dachten wir, es wäre ein bisschen einfacher ein Haus zu bekommen. Wir haben zum Beispiel eine Petition gestartet und haben nicht genügend Unterschriften bekommen. Also wir hatten 8000 und übergaben sie der Stadt, sie haben das aber ignoriert.

IZ: Wer ist und war in das Projekt involviert und wen wollt ihr damit erreichen?

J: Das Project Shelter ist eine Gruppe aus ganz verschiedenen Leuten. Menschen mit und ohne deutschen Pass, Menschen mit und ohne Schlafplätzen. Aber es geht nicht nur darum, wir haben auch gemeinsame politische Ziele. Wir kämpfen für ein selbstorganisiertes Soziales Zentrum und gegen Rassismus. Wir richten uns an den Stadtrat, aber versuchen auch eine breite Sensibilität für die Thematik aufzubauen. Es ist nicht immer einfach und manchmal bekommen wir keine Aufmerksamkeit. Aber wir machen weiter, denn wir wollen zeigen, dass es die Probleme gibt, auch wenn die Leute sie nicht sehen, weil es nicht Teil ihres Alltages ist.

M: Und natürlich wollen wir Menschen ohne Obdach erreichen. Noch einmal etwas dazu:: Eigentlich wollen wir alle Menschen erreichen, aber wir sind Project Shelter, also ist es ein Projekt für Schlafplätze. In der Regel bekommen Geflüchtete, die ihren Fingerabdruck in Deutschland abgegeben haben, einen Schlafplatz. Die Menschen die in unserem Projekt sind, haben ihre Fingerabdrücke z.B. in Ungarn, Spanien oder Portugal abgegeben. Durch die Finanzkrise kamen manche nach Deutschland um zum Beispiel Arbeit zu finden. Dabei bekamen sie keinerlei Unterstützung. Außerdem gibt es Gesetze, die es erschweren Arbeit zu finden. Und das sind zwei Teufelskreise: erstens, wie soll mensch Arbeit finden, wenn er*sie keinen Schlafplatz hat und wie soll mensch ohne Arbeit einen Schlafplatz finden? Und zweitens: wie soll mensch Arbeit finden, wenn er*sie keine Arbeitserlaubnis hat?

IZ: Ihr habt über Sensibilisierung geredet, welche Rolle spielt die Nachbar*innenschaft?

S: Wir wollen Ideen mit der Nachbar*innenschaft austauschen…

M: Ich kann etwas über die Praxis erzählen. Als wir die Häuser besetzten haben wir z.B. immer Flyer geschrieben für die Nachbar*innen, auf denen stand wer wir sind und was wir tun, warum wir keine andere Möglichkeit hatten und dass wir über ein Jahr mit der Stadt verhandelt haben. Oder wenn wir einen Aufruf für eine Demonstration schreiben, erklären wir alles so, dass jede*r es verstehen kann, also auch Menschen die bis her keine politische Arbeit machen.

IZ: Und gab/ gibt es Reaktionen?

J: Ja, das ist auch etwas schönes an Project Shelter. Immer wenn wir mit Menschen geredet haben, konnten auch sie nicht verstehen, warum es so viel Leerstand gibt und dennoch Menschen keinen Schlafplatz haben. Das ist so absurd. In Frankfurt gibt es viel Leerstand und viele Menschen finden das nicht richtig, dass trotzdem Menschen keine Unterkunft haben.

IZ: Für uns als Internationalistisches Zentrum liegt die Perspektive hinter Sozialen Zentren auch in einer transnationalen Praxis und Netzwerken. Seht ihr euer Projekt als Teil eines transnationalen Kampfes oder ist es speziell lokal? Wie sehen eure Netzwerke aus?

M: In erster Linie ist es ein lokales Projekt, weil wir für ein selbstorganisiertes Zentrum in Frankfurt kämpfen, aber wir sehen uns auch als Teil eines transnationalen Kampfes. Wir tauschen uns aus mit Menschen, die in anderen Städten für solche Zentren kämpfen oder bereits welche haben. Es ist ja nicht nur der Kampf um Schlafplätze, sondern auch gegen Rassismus oder Diskriminierung, welcher auch transnational ist, da es sich um strukturelle Probleme handelt, die nicht nur speziell in einer Stadt vorkommen.

IZ: Habt ihr gewisse Vorbilder oder andere Projekte an denen ihr euch orientiert?

J: Die letzten zwei Jahre wurden immer mehr Häuser für Refugees und Migrant*innen besetzt. Wir sehen uns als Teil dieser Bewegung.

IZ: Hier auf dem No Border Camp geht es viel um Netzwerke und Support. Was waren eure Erwartungen hier her zu fahren? Wie profitiert euer Projekt davon?

M: Ich denke es ist gut hier diese Vernetzung zu haben, weil wir alle voneinander lernen können. Viele Menschen haben in unterschiedlichen Städten Europas Häuser besetzt und wir können uns darüber austauschen. Wer hat das wie gemacht, warum hatten sie Erfolg und warum haben wir den nicht? Wie sind andere Projekte organisiert? Welche Arbeitsgruppen haben sie, wie gehen sie mit internen Konflikten um? Es geht darum sich auszutauschen und ein Netzwerk aufzubauen.

J: Noch haben wir kein Haus. Wir haben für 80 Menschen Schlafplätze organisiert. Wir sind am Limit. Aber immernoch kommen Menschen nach Frankfurt und müssen draußen schlafen und sie kennen das Project Shelter nicht. Es wäre also gut, wenn das Projekt bekannter werden würde und dafür brauchen wir Netzwerke.

IZ: Eine letzte Frage: was ist eure Motivation und wie könnt ihr sie teilen?

S: Es geht um das Verständnis füreinander. Jede Person hat ihre eigenen Ansichten und Reaktionen. Es geht darum diese Auszutauschen und zu verstehen.

M: Zwei Sachen: als erstes kennen wir unsere Privilegien und so lange es die gibt, wird es keine Gerechtigkeit geben und deswegen müssen wir kämpfen. Zweitens ist es wirklich großartig, wenn auf den Treffen 50 Menschen sind, die für ihre und unsere Rechte kämpfen wollen. Sie wollen Sachen verändern.