Delegationsreise Griechenland [Teil 5]

Lesbos (II) – Selbstverwaltung auf der Insel

IMG_2348.cleaned>>>Im letzten Beitrag haben wir über die staatlichen Ablauf und die Rolle der Volunteers auf der Insel berichtet. Teil 2 beschreibt, wie wir Selbstorganisation auf Lesbos erlebt haben. Der Bericht ist nun bereits zwei Wochen alt. Da sich die Dinge schnell ändern, kann die Aktualität nicht 100% gewährleistet werden. Die neusten Informationen findest du unter der Fußnote [1]<<<

NoBorderKitchen Camp

IMG_2337.cleanedWir verbrachten die meiste Zeit im NoBorder Camp, dass vor allem von der NoBorder Kitchen und den Geflüchteten bekocht und belebt wird. Mit uns vor Ort waren etwa 20 Genoss*innen und 30 Menschen, die hier auf ihre Überfahrt meist nach Athen, warteten. Wenige Tage zuvor waren bereits viele der Geflüchtete wieder auf dem Weg weiter Richtung Norden, so dass es im Camp relativ ruhig war. Cops wurden in dieser Zeit in der Nähe des Camps nicht gesehen, dennoch gab es Berichte über Einzelkontrollen und Verhaftungen. Die Aufenthaltsdauer unterscheidet sich stark von Person zu Person. Diese kann von wenigen Tagen bis zu mehreren Wochen reichen und hängt meist mit dem legalen Status und den entsprechenden Papieren zusammen. Wer als Refugee die Insel verlassen will, braucht dafür ein 30-Tage-Aufenthaltspapier (siehe Delegationsbericht Teil II und Fotos Eidomeni). Die Ausstellung eines solchen Dokuments ist vor allem für Menschen aus “nicht-gewollten” Nationen völlig willkürlich, wie uns berichtet wird. Bis zur Aushändigung dieses Papieres, bleibt die Insel quasi ein Gefängnis, denn ohne ist es kaum möglich ein Fährticket zu kaufen. Selbst in den Verkaufsstellen scheinen die Politiken für die Weiterreise diffus. Während uns gegenüber versichert wurde, dass es allen mit gültigen Papieren frei steht in welche Richtung sie Lesbos verlassen (meist liegt die Entscheidung zwischen Athen und Kavala im Norden der Ägais), berichten uns andere, dass für Geflüchtete nur die Fähre nach Athen freigegeben wurde. Einige der Gespräche mit Refugees haben wir aufgenommen und werden sie euch in den nächsten Tagen zum Hören zur Verfügung stellen.

IMG_2343.cleanedIm NoBorderCamp kommen die Menschen in Zelten unter. Als sich noch deutlich mehr Menschen hier aufhielten, wurden dafür extra Frauen- und Familienbereiche und ein Kinder- und Spielzelt eingerichtet, die auch jetzt weiter bestehen. Solange das Wetter mitspielt, funktioniert die Infrastruktur im Camp weitestgehend gut. Die hygienische Situation ist deutlich besser als im Registrierungscamp in Muria. Toiletten jedoch können nur am nahgelegenen Hafen genutzt werden, auch verfügt das Camp nicht über eigene Duschen. Koch- und Lagerzelte sowie Schlafzelte stehen allen zur Verfügung. Das starke Unwetter in der Nacht vom 03. auf den 04. Januar, in der wir das Camp besuchten, zeigte aber mit Härte, wie wenig Wetterfestigkeit tatsächlich besteht. Es war nicht möglich, die Nacht auf dem Gelände zu verbringen. Stattdessen konnten die Refugees die Nacht in einem seit längerem besetzten Haus verbringen. Leider haben dort nur ca. 15 Menschen Platz. Ein weiterer Raum in dem Haus dient als Lagerfläche. In Anbetracht des nahenden Winters sind weitere Besetzungen zusammen mit anarchistischen Strukturen wie dem Musaferat geplant.

Um ankommende Boote aufzunehmen ist das Camp in Informationsstrukturen von anderen Freiwilligen und NGOs  eingebunden. Allerdings agiert das Camp unabhängig und ist nicht weisungsgebunden. Gearbeitet wird kollektiv mit allen, auch wenn dabei, wie vielerorts, Sprachbarrieren eine große Hürde darstellen. Während fehlende Übersetzungsmöglichkeiten beim gemeinsamen Kochen von geringer Bedeutung sind, wird dies in täglichen Plena zum großen Problem, das bisher nicht vollständig gelöst werden konnte. Nichtsdestotrotz wird versucht, eine große Transparenz bei allen Entscheidungen zu gewährleisten und so viele Informationen wie möglich weiterzugeben um allen Menschen eine Weiterreise zu ermöglichen.

IMG_2357.cleanedDennoch besteht die Hauptaufgabe des Camps derzeit darin eine grundlegende Versorgung zu gewährleisten. Politische Aktionen, Statements oder Vernetzungen gehen nach Einschätzung der Genoss*innen aber kaum über die Banner am Eingangstor hinaus. Es bleibt ein dauerhaftes Diskussionsthema, welchen politischen Beitrag das Camp tatsächlich leistet oder ob es nicht letztendlich in ähnlichen Mustern des “Helfens” verbleibt und darüber hinaus keinen politischen Druck aufbauen kann. Schließlich hat allein die reine Existenz eines solchen Camps noch nicht zwangsläufig eine politische Außenwirkung. Die Motivation den politischen Charakter auszubauen besteht ohne Frage. Ein wichtiger Schritt wäre, nach Einschätzung der Menschen vor Ort, die Einteilung von Arbeitsgruppen. Neben infrastrukturellen Arbeiten, wie z.B. das Camp winterfest zu machen, braucht es Leute, die sich aktiv mit anderen bestehenden Projekten vor Ort verbinden um gemeinsame Strategien zu entwickeln, schlagkräftiger zu werden und Rückhalt zu haben. Letztendlich ist auch die NoBorderKitchen eine Struktur, die von “außen” kommt. Ihr daraus einen Vorwurf zu machen wäre angesichts der vielen NGOsvor Ort, die nicht von der Insel stammen, deplaziert. Es gibt starke Bemühungen mit den lokalen Strukturen zusammenzuarbeiten. Als wir zusammen mit ca. 1500 Geflüchteten mit der Fähre nach Athen unterwegs waren erhielten wir eine SMS. Unter Umständen soll es in Mytilini eine neue Besetzung geben um für den Winter gewappnet zu sein. Locals, Einzelpersonen von Musaferat Gruppe Musaferatund die No-Border-Kitchen sind darin involviert. [1] Die Frage bleibt offen, welcher Unterschied tatsächlich zur Charity Arbeit der NGOs besteht. Im Mindesten liegt er darin, dass kollektiv und auf Augenhöhe gelebt wird, dass es keine Zuarbeit für IMG_2355.cleanedrepressive, staatliche Stellen gibt und Menschen ungeachtet ihres rechtlichen Status aufgenommen und informiert werden. Durch Besetzungen wird darüber hinaus die Eigentumslogik des Kapitalismus klar in Frage gestellt. Schließlich gilt nicht erst seit heute: “Die Häuser denen, die sie brauchen!”

Die Besetzung des KKE-Arbeiter*innen-Zentrums durch syrische Geflüchtete

Das Arbeiter*innen-Zentrum der stalinistischen Griechischen Kommunistischen Partei (KKE) wurde in den frühen Morgenstunden des 7. November 2015 durch Geflüchtete aus Syrien besetzt. Eine Genossin berichtet in Thessaloniki von den Ereignissen. Das sog. Zentrum wurde durch die Partei nur noch als Lagerfläche benutzt und war nicht länger Ort aktiver Arbeiter*innen-Organisierung, geschweige denn der Selbstorganisierung. Die Geflüchteten lebten schon länger auf der Insel und sahen sich angesichts der akuten Notlage gezwungen zu handeln. Von den ersten Stunden der Besetzung an solidarisierten sich viele Menschen, vor allem Anarchist*innen und Antiautoritäre. Gemeinsam richteten sie die Räume zum Wohnen her. Vielmehr als eine organisatorische Unterstützung forderten die Menschen aus Syrien aber deren politische Solidarität ein. Die Genossin zitiert rückblickend: “Wir wollen nicht, dass ihr hier aufräumt. Ihr sollt mit uns kämpfen, wenn es darauf ankommt.” Auch Mitglieder der KKE kamen zur Besetzung um sich ein Bild zu machen und alle Gegenstände, die sich noch im Arbeiter*innenzentrum befanden, bis hin zu Küchengegenständen, mitzunehmen. Am Nachmittag des 10. November, kurz bevor die Besetzer*innen ihren ersten Text veröffentlichen wollten, wurde die Besetzung durch die “Parteisoldat*innen” der KKE geräumt. Wie uns berichtet wurde, kamen sie bewaffnet mit Helmen und Knüppeln an, schmissen die Solidarischen und den einzigen Migranten, der Griechisch sprach, gewaltsam raus, um zu verkünden, dass sie ab sofort den Laden schmeißen würden. Die Migrant*innen verließen daraufhin das Gebäude, da sie sich nicht mehr erwünscht und sicher fühlten. Von Seiten der KKE-Kommunist*innen wurde demnach die Besetzung durchgängig nicht als Aktion der Geflüchteten gesehen. Stattdessen herrschte die pauschale Annahme vor, dass die Aktion durch die Unterstützenden initiiert wurde. Während der Räumung fanden sich weitere solidarische Menschen zusammen, die die KKE-Rassist*innen beschimpften, mit Eiern und Müll bewarfen. Die KKE hat damit wieder einmal die “roten Cops” gespielt und damit erneut bewiesen, dass in ihrem autoritären Verständnis kein Platz für Kämpfe ist, die sie nicht kontrollieren kann. In dem Text der Migrant*innen vom 11. November, die die Initiative zur Besetzung ergriffen hatten, heißt es: “Wie immer sollen sich die Migrant*innen und Flüchtlinge (evtl. Geflüchtete) nicht selbst organisieren. Jeder Kampf, den sie (gemeint ist die KKE, Anm. d. Ü.) nicht kontrollieren, ist unerwünscht und sie tun alles Mögliche, um ihn zu vereinnahmen oder zu beenden. „Wir hatten die Gewalt und das grausame Verhalten der Polizei. Wir hatten die Morde der Nazis von der Goldenen Morgenröte. Und heute hatten wir den Angriff der KKE, die versucht, uns ihre Linie aufzuzwingen und den Kampf zu verhindern, den wir vor fünf Tagen angefangen hatten, den Kampf um unsere Würde und gegen die Ausbeutung.” Zitat von Musaferat.

Auch ein Video von der Räumung des Arbeiter*innenzentrums durch die KKE existiert: https://www.youtube.com/watch?v=vgZby7kOB3Q

SocialKitchen Mytilini und lokale Strukturen auf Lesbos

IMG_2521.cleanedAuf dem Weg zum Camp der NoBorderKitchen wird ebenfalls gekocht. Seit Juni 2015,  als das staatliche Versagen in der Versorgung der Geflüchteten immer deutlicher wurde,  gibt es 3-4 Mal in der Woche kostenloses Essen für alle. Die Social Kitchen “O Ollos Anthropus” (“The Other Human”) ist ein von Anwohner*innen in Myitilini übernommenes Konzept aus Athen. Dort besteht das Projekt bereits seit 2011. Enge Kontakte nach Athen halfen dabei, die Idee auch auf Lesbos umzusetzen. Das Grundprinzip eines losen Netzwerkes verschiedener Privatpersonen ist auch aus anderen Orten bekannt. Diese sind vor allem über Facebook organisiert, fragen dort Verfügbarkeiten ab und werben nach Unterstützung. Soweit erstmal kein Unterschied zu kleineren NGOs, die auch in Deutschland überall entstehen. Dennoch grenzen sich die Kochenden bewusst von reinen Charityprojekten ab. Essentiell für das Grundverständnis, so berichten es Dimitri (Gründer der Initiative) und die Anwesenden herum, ist vielmehr, dass hier gemeinsam gekocht, gegegessen und Zeit verbracht wird. Nur so könne man sich gegenseitig “Liebe, Solidarität und Respekt” entgegen bringen und bestehende Hemmungen abbauen. Es gehe nicht darum, sich selbst für Andere aufzuopfern, sondern im Rahmen der eigenen Möglichkeiten ein Bewusstsein für seine Mitmenschen zu entwickeln, unabhängig davon wer diese sind und woher sie kommen. Wenn derzeit vor allem Refugees mit Essen verorgt werden, so müsse das genauso als Teil eines Miteinanders auf der Insel verstanden werden wie in jeder anderen Nachbarschaft auch. In der massiven Polizeipräsenz vom Sommer auf der Insel sieht Dimitri einen großen Fehler der griechischen Regierung, da diese ein ständiges Gefühl der Unsicherheit für alle Menschen in Mytilini mit sich bringe. Das schüre die Abgrenzung der Menschen untereinander und behindere das Bewusstsein füreinander. Die SocialKitchen zeigt für uns, wie eine solidarisches Zusammenkommen aus der Zivilbevölkerung ohne das Einwirken von staatlichen Stellen oder NGOs funktionieren kann. Es beruht auf dem grundlegenden Verständnis einer gemeinsamen Nachbarschaft, die sich der Einteilung der Menschen in “Uns” und “Den Rest” entgegenwirkt.

Auch wenn sich die Tätigkeit der SocialKitchen vor allem auf das gemeinsame Kochen bezieht, steht dahinter die Forderung nach einer freien Entfaltungsmöglichkeit für alle. Der völlig inhumanen Situation für viele auf der Insel, so beschreibt es Dimitri explizit, kann langfristig nur mit einer Öffnung der Grenzen begegnet werden. Zwischen der SocialKitchen aus Mitilini und der NoBorderKitchen bestehen dahingehend viele Gemeinsamkeiten, die vielleicht eine viel intensivere Zusammenarbeit ermöglichen sollten. Die Kontakte werden zum Teil dafür genutzt Ressourcen aufzuteilen und das Kochen miteinander abzustimmen. Die Bestrebungen, die Zusammenarbeit zu erweitern und einen gemeinsamen politischen Raum zu schaffen, können nach unserer Ansicht vor allem für die NoBorderKitchen ein große Chance sein. Die Grundlage dafür besteht jedenfalls.

Eine Lehrerin, die oft in der SocialKitchen mitkocht, erzählt von einer Besonderheit auf Lesbos, die aus ihrer Sicht Einfluss auf die Situation vor Ort hat: Viele Menschen seien demnach aufgrund der Geschichte der Insel besonders sensibel für die Fluchtthematik. Auch weil es oftmals Teil ihrer eigenen Geschichte sei. Der sogenannte “Bevölkerungsaustausches” [2] zwischen Griechenland und der Türkei in den 1920er Jahren brachte viele Menschen zwangsweise selbst als Refugees nach Lesbos. Dies sei ein Grund dafür, weshalb Solidaritätsprojekte wie die SocialKitchen auf einen relativ breiten Rückhalt aus der Zivilbevölkerung bauen können.

Vor allem im vergangenen Jahr hat sich eine Vielzahl solcher Solidaritätsstrukturen auf der Insel gebildet. Eines der größten selbstverwalteten Projekte ist das Camp Platanos im Norden der Insel. Leider war es uns nicht möglich, das Projekt vor Ort zu besuchen. Wir möchten aber knapp wiedergeben, was wir an Informationen vor allem aus dem Orfanortrofio draüber mitnehmen konnten. Über 1000 Refugees kommen mittlerweile hier unter, auch für Genoss*innen und Aktive aus ganz Europa ist das Camp zur Anlaufstelle geworden. Neben der Versorgung mit Essen und Schlafplätzen sind auch Ärzt*innen eingebunden. Angebote der Stadtverwaltung von Mytilini, dem Camp einen eigenen Krankenwagen zur Verfügung zu stellen, wurden abgelehnt. Jegliche Einmischung staatlicher Stellen bürge die Gefahr einer Vereinnahmung und Unterwanderung der selbstverwalteten Strukturen, so die Campversammlung. Tatsächlich steht die Unterstützung des Camps auf relativ breiten Beinen. Sichtbar wird dies, wenn selbst diverse NGOs auf Materialbestände aus dem Platanos-Camp zurückgreifen müssen.

Gleichzeitig berichten Genoss*innen in Thessaloniki leider auch, dass auch in Lesbos ein Erstarken rassistischer Mobilisierung und Hetze zu verzeichnen ist. In Mytilini gründete sich im Zuge der ansteigenden Refugeezahlen selbstbezeichnete “patriotische Bürgerinitiativen”, deren personelle und strukturelle Verbindung zur neonazistischen Partei Chrysi Avgi (“Goldene Morgenröte“) offensichtlich sind.

Auch in einer gepachteten Molkerei in dem kleinen Ort Klio ist seit einigen Tagen ein kurzfristiger Aufenthaltsort für Refugees zur Verfügung gestellt. Das ursprünglich von Borderline-europe ins Leben gerufene und nach Widerstand der Anwohner*innen verworfene Projekt wird mittlerweile von Einzelpersonen neu gestartet. Uns wurde berichtet, dass mittlerweile versucht wird, die Anwohner*innen direkt einzubeziehen um so enstandene Spannungen abzubauen. Viele der zahlreichen Projekte, die direkt aus der Bevölkerung heraus entstanden sind, listet außerdem die Website lesvosvolunteers.com auf.

Zusammenfassung

Die Insel Lesbos ist einer der zentralen Orte für das Europäische und griechische Grenzregime, da es einer der ersten Orte auf der sogenannten Balkanroute ist, der sich auf EU-Hoheitsgebiet befindet. Es gelten dementsprechend die rechtlichen Rahmenbedinungen der EU (Selektierung, Registrieung, Abgabe von Fingerabdrücken). Dass das Verhältnis zwischen der mytilinischen Bevölkerung und den Geflüchteten noch in weiten Teilen entspannt ist, lässt sich u.a. auf den historischen Fluchthintergrund der Insel als auch auf die wirtschaftlichen Profitmöglichkeiten zurückführen. Dennoch bleibt die Lage diffus und die Entwicklungen in naher Zukunft völlig offen. Für selbstorganisierte Projekte, die nicht durch die Lokalbevölkerung selbst angeschoben wurden, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen sich stärker mit lokalen Strukturen zu verbinden. Nur mit diesem lokalen Rückhalt kann eine langfristige Arbeit und eine effektive Selbstverteidigung gegen staatliche Angriffe ermöglicht werden.  Auch das Einbinden von “Volunteers”, um ihnen u.a. andere Formen der Unterstützung und Organisierung aufzuzeigen sollte möglich sein. Selbstorganisation wird auf Lesbos als Alternative greifbar gemacht. Eine Stärkung von dezentralen, selbstverwalteten Projekten kann auch eine Perspektive für eine würdevollere Zusammenarbeit auf der Flucht sein. Die Weitergabe von unabhängigen Informationen und das vermitteln in Projekte an anderen Orten Griechenland kann bereits auf Lesbos geschehen. Wir denken, dass es von enormer Bedeutung ist, dass Menschen auf der Flucht eine Struktur der Solidarität kennenlernen, die sich versucht jenseits von Staat, Nation und Kapital zu organisieren.

Ein Genosse beschreibt uns, er empfinde Lesbos als einen Ort mit historischer und politischer Tragweite, die vielleicht derzeit noch gar nicht fassbar ist.

Fragen, die wir uns stellen:

Wo liegen Schnittstellen zwischen Charity und politischer Solidarität, die langfristig genutzt werden können?

In wie weit ist die Motivation Ansatz zu „Helfen“ eine Möglichkeit Menschen “abzuholen” und die politischen Dimensionen der Flucht aufzuzeigen? Oder ist der Stress und Druck für politische Strukturen zu groß, um diese Arbeit leisten zu können? Wenn ja, sollte sich die Frage gestellt werden, warum wir dort tätig werden, wenn es keine weiteren politischen Gründe gibt, die unmittelbar mit einer Praxis vor Ort verknüpft sind. Schließlich ist für uns klar, dass es nur eine politische Antwort auf das europäische Grenzregime geben kann.

Ist die Solidarität der Menschen auf Lesbos wirklich so groß? Ist es überall so wie in Mytilini?

Wie wird sich der Einfluss rassistischer Initiativen entwickeln? Kann dies eine Chance für die Goldene Morgenröte sein, eine ähnliche Bürger*innenbewegung von Rechts aufzubauen, wie wir sie aus Deutschland kennen?


[1] Die Besetzung ist schon wieder geräumt. Die Räumung steht in Zusammenhang mit einer ganzen Repressionwelle gegen nicht-staatlichen Strukturen.

[2] Sog. Bevölkerungsaustausch: Infolge des Ersten Weltkrieges und Griechisch-Türkischen Krieges kam mit dem Vertrag von Lausanne 1923 zu einer staatlich vereinarten Vertreibungswelle. Etwa 1,6 Millionen Menschen wurden mit dem Ziel der Schaffung einer “homogenen” Bevölkerung zwangsumgesiedelt. So kamen etwa 1,2 Millionen orthodoxer Christen nach Griechenland und 400.000 Muslime in die Türkei.