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AKTUELLE VERANSTALTUNGEN WEITER UNTEN

AUSNAHMEZUSTAND
– 15 Jahre War on Terror –

Spätestens seit den Anschlägen in Paris, Nizza und nun auch Würzburg, ist die Debatte um verschärfte Sicherheitsmaßnahmen in Politik und Gesellschaft erneut zum Thema Nummer 1 geworden. Die Forderungen reichen dabei von automatischer Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen bis zur Aufstockung der Polizei und dem Einsatz der Bundeswehr im Innern. In Frankreich wurden solche Maßnahmen als Konsequenz des nun zum vierten Mal in Folge bewilligten „Ausnahmezustands“ durchgesetzt – ein Sonderrecht, das die Einschränkung und sogar Suspendierung verfassungsrechtlich konstituierter Grundrechte erlaubt. Das Militär ist seitdem für die „Sicherung“ des Landes und seiner Grenzen verantwortlich, aufgrund „drohender Gefahr“ können Schutzzonen errichtet, Ausgangssperren verhängt, Versammlungen und Demonstrationen verboten, öffentliche Gebäude geschlossen und Hausdurchsuchungen ohne Gerichtsbeschluss durchgeführt werden.

Dass der Einsatz der „Notstandsgesetze“ nicht mehr notwendig ist, um demokratische Grundrechte sukzessiv einzuschränken, hat Kritiker*innen, wie etwa den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, dazu bewogen, den „Ausnahmezustand in der Politik der Gegenwart“ nicht mehr als „ausnahmsweise ergriffene provisorische Maßnahme“, sondern längst als das „herrschende Paradigma des Regierens“ auszumachen. Zu einem der wesentlichen Schlüsselmomente für die Etablierung einer solchen „Regierungstechnik“ zählt der 11. September 2001, auf den unter dem Stichwort des „War on Terror“ weltweit massive Veränderungen in Bezug auf Kriegsführung, Menschenrechte und Demokratie, aber auch auf Migration, Nationalismus und Rassismus folgten. Den Jahrestag von 9/11 möchten wir deshalb als Ausgangspunkt nehmen, um diese Entwicklungen anhand einer Vortragsreihe kritisch zu reflektieren. Im Fokus stehen dabei Fragen danach, was unter einem Ausnahmezustand zu verstehen ist, wie er in der Praxis umgesetzt wird und welche Konsequenzen er mit sich bringt, aber auch welche Auswirkungen eine solche “Krisen-Regierungstechnik” auf eine links(-radikale) politische Praxis nimmt und welche Möglichkeiten es gibt, den Mechanismen entgegenzuwirken.


I) Vortrage und Diskussion:

Ausnahmezustand in Frankreich
– mit Bernard Schmid, Jurist und Autor Paris / Berlin –

Datum: 21.09.2016
Uhrzeit: 19:30
Ort: Wulbert’s Café und Bar, Rudolfstraße 2, 01097 Dresden

Frankreich hat in den letzten Monaten die internationale Öffentlichkeit immer wieder überrascht. Nach den brutalen Terroranschlägen im Januar 2015 (u.a. Charlie Hebdo) sowie im darauffolgenden November wurde der Ausnahmezustand verhängt, zunächst für zwölf Tage – auf Anordnung des Präsidenten -, dann auf der Grundlage einer parlamentarischen Entscheidung für die Dauer von drei Monaten. Infolge internationaler Ereignisse wie der Fußball-Europameisterschaft, aber auch neuerlicher Attentate im Juli dieses Jahres wurde er seitdem mehrfach verlängert. Nach den derzeitigen Plänen soll er noch bis Januar 2017 gelten. Er wäre dann seit über einem Jahr in Kraft und Frankreich steht dann bereits mitten im Wahlkampf. Ein Ende des Ausnahmezustands ist also eher fragwürdig.

Sollte eine sich derzeit ideologisch radikalisierende konservative Rechte, oder gar die extreme Rechte unter Marine Le Pen, nach den Wahlen im Frühjahr 2017 die Regierung stellen bzw. an ihr teilnehmen, dann wird sie über weitreichendes Instrumentarium für eine autoritäre Krisenverwaltung verfügen. Zumal einige Aspekte des Ausnahmezustands, besondere mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Terrorismus, Terrorfinanzierung und Organisierter Kriminalität“ des derzeitigen Justizministers Jean-Jacques Urvoas, bereits in den so genannten Normalzustand integriert wurden.

Andere Elemente, die im zurückliegenden Winter 2015/16 hitzig diskutiert wurden, hat die politische Führung dagegen vorläufig in der Schublade belassen. Dies gilt für die Ausbürgerungspläne für Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit, die im Dezember 2015 zunächst angekündigt, Ende März diesen Jahres dann durch Staatspräsident François Hollande aufgegeben wurden. Der Grund: Die regierende Sozialdemokratie und die Konservativen konnten sich nicht hatten auf die Modalitäten einigen. Diese, ursprünglich von der extremen Rechten in Gestalt des Front National (FN) kommende und durch die großen Parteien aufgegriffene, Forderung wird zweifellos in den kommenden Wahlkämpfen erneut thematisiert werden. Ideologisch aufgeladene „Sicherheitsdebatten“ sind damit vorprogrammiert.

Zunächst schien zum Jahreswechsel eine breite Mehrheit in Umfragen hinter solchen „sicherheitspolitischen“ Maßnahmen zu stehen, auch wenn gerade rund um den Klimagipfel im November/Dezember 2015 offensichtlich wurde, dass sie zu Zwecken offener politischer und sozialer Repression eingesetzt wurden. Seitdem bröckelte die Unterstützung. Vor allem jedoch verhinderten Ausnahmezustand und der damit verbunden politische Diskurs, der die Situation eines belagerten Landes suggerieren sollte, nicht das Aufkommen einer breiten sozialen Protestbewegung gegen die „Reform“ des Arbeitsrechts im Frühjahr 2016. Doch auch gegen diese Protestbewegung wurden diverse repressive Instrumente aufgeboten. Zum Teil kamen diese zum ersten Mal in Frankreich zum Einsatz. Manche von diesen Instrumenten – wohlgemerkt nicht alle – wurden durch die Regierung mit dem Hinweis auf den Ausnahmezustand und Terrorismus in eingeführt.

Über nähere Einzelheiten und andere Fragen wollen wir am 21.09.2016, ab 19:30 im Wulbert’s Café und Bar, Rudolfstraße 2, 01097 Dresden mit dem Juristen und Autor Bernard Schmid zu diskutieren.


Bernard Schmid arbeitet und lebt als freier Journalist, Autor und Jurist in Paris. Auch in deutschsprachigen linken Medien veröffentlicht er Artikel. Er arbeitet u.a. für die Wochenzeitung Jungle World und der Monatszeitschrift Konkret.