2. Bericht Delegation Rojava: Zentrum der jungen Frauen* in Qamişlo – Yekitîya Jinen Ciwan

In diesem Bericht beschreiben wir die Arbeit im Zentrum der Jungen Frauen* in Qamişlo. Anschließend suchen wir nach Parallelen zur feministischen Bewegung der 70er Jahre in der BRD, speziell zu den Frauenzentren.

Die zweite Station unserer Delegationsreise war das Zentrum der jungen Frauen* in Qamişlo. An diesem Ort kann man gut sehen, wie die offenen Jugendstrukturen in Rojava, auch die der jungen Frauen* (Yekitiya Jinen Ciwan), arbeiten und organisiert sind. Grundlegend gibt es in den Städten überall offene Jugendzentren, die an die Jugendbewegung angebunden sind. Auch in den Jugendstrukturen sind die „Jinen Ciwan“ (Jungen Frauen*) parallel zu den gemischt-geschlechtlichen Strukturen, autonom organisiert. Deswegen haben sie auch autonome Zentren. Grundlegend sind das Orte zu denen alle Menschen kommen können, sie sind Orte der Begegnung und des Austausches. Außerdem steht die Bildung der Jugend, speziell der jungen Frauen* im Vordergrund. Wie das Programm und die Gestaltung dann im speziellen aussieht, hängt von den Bedürfnissen der Gesellschaft vor Ort ab. An diesen Bedürfnissen wird das Angebot in den Jugendzentren ausgerichtet.
Die grundsätzlichen Ziele, nicht nur im Zentrum der Jungen Frauen* in Qamişlo, sind es Kontakt und Beziehungen zu den jungen Frauen* in der Gesellschaft aufzubauen, ihre Bedürfnisse und Situationen zu verstehen, sich gemeinsam zu organisieren, sie weiterzubilden und dadurch ihre Situation in der Gesellschaft zu verbessern. Sie wollen junge Frauen* empowern und ihnen die Mittel zur Verfügung stellen sich zu entwickeln und zu befreien. Sie sollen lernen sich nicht mit Männern* zu vergleichen, ihren eigenen Weg finden und unabhängig werden. Dafür versuchen sie die jungen Frauen* für verschiedene Dinge zu begeistern, ihnen Freiheiten zu verschaffen, die sie benötigen und sie damit zu stärken. Durch Bildung wird die Zukunft der Jugend verändert, die Jugend soll lernen, nicht immer nur das zu machen, was die Familie oder Gesellschaft von ihnen erwartet. Das gilt insbesondere für die jungen Frauen*. Grundsätzlich gilt als Ziel, das Frauen* an allen Teilen des Lebens partizipieren und nicht weiter in den Häusern eingesperrt bleiben.

Das Jugendzentrum der Jungen Frauen* in Qamişlo gibt es seit 2010. Vorher war das Gebäude im Besitz des syrischen Regimes. Es ist täglich von 9 – 14 Uhr (manchmal länger) geöffnet. Die Frauen*, die in das Zentrum kommen, sind ab 13 Jahre und älter. Um das Zentrum zu Beginn bekannter und akzeptierter zu machen, begannen die Initiator*innen damit in die Schulen zu gehen und mit den Lehrer*innen zu sprechen. Sie forderten sich einen Platz im Schulprogramm ein. Damit hatten sie eine feste Zeit in der Schule, in der sie selbst den Unterricht gegeben haben. So fingen sie an die Mädchen und jungen Frauen* weiterzubilden und für verschiedene Inhalte zu begeistern. Später sind dann die Mädchen* und jungen Frauen* aus den Schulen auch in das Zentrum gekommen und somit Teil oder zumindest bekannt mit der Bewegung [1] geworden. Hauptaufgabe ist die Bildung. Es gibt zum einen ideologische Bildung, Praxisvermittlung, aber auch Sprachunterricht. Weiterbildungen gibt es zum einen nur für Frauen*, aber auch gemischt-geschlechtlich. Neben der Bildung im Zentrum und in Schulen, werden auch Lehrer*innen geschult. Sie entwickeln auch neue Lehrbücher mit alternativen Inhalten. Das weitere Angebot im Zentrum ist an den Bedürfnissen der jungen Frauen* in Qamişlo ausgerichtet. Wenn jemand etwas bestimmtes machen oder lernen möchte, kann sie* einfach in das Zentrum kommen und es organisieren. In Qamişlo gibt es z.B. einen Basketballkurs, Volleyball, Kickboxen, Tanzen und einen Theaterkurs. Im Theaterkurs entwickeln sie die Stücke gemeinsam und lernen nicht nur das Schauspielern sondern auch alles andere, was damit in Verbindung steht. Es geht um das gemeinsame Selbstorganisierte lernen. Außerdem gibt es eine Bibliothek und eben die Möglichkeit Sport zu machen, was für junge Frauen* in der Gesellschaft nicht unbedingt selbstverständlich ist. Auch die Jineolojî [2] hat einen Platz im Zentrum der jungen Frauen*. Darüber können sie z.B. Auto fahren, schwimmen oder Reiten lernen.

All dies stellt für die jungen Frauen* Möglichkeiten dar, die sie in der Gesellschaft nicht unbedingt haben. Sie können Dinge lernen, die ihnen sonst verwehrt bleiben, z.B. ist es durchaus gesellschaftlich nicht üblich, dass Frauen lernen Auto zu fahren. Auch die Orte an denen Frauen Sport machen können, sind sehr begrenzt. Außerdem lernen die Mädchen* und Frauen* sich zu organisieren und solidarisch miteinander zu leben. Die Rolle der Frau* innerhalb der Gesellschaft in Rojava war vor der Revolution überwiegend die der Hausfrau*, sie war Eigentum des Mannes* und dadurch an das Haus gebunden. Dies gilt heute zum Teil immer noch, aber durch die Arbeit der autonomen Frauenstrukturen und der Bewegung ändert sich dies Stück für Stück. Die Frauen* im Zentrum erzählten uns, wie sie diesen Prozess auch in Qamişlo beobachten können. Durch ihre Arbeit brechen alte Muster auf. Durch die die Kriminalisierung der Heirat unter 18 Jahren und das Empowerment junger Frauen* ist das durchschnittliche Heiratsalter von ungefähr 14 Jahren, auf ca. 20 Jahre gestiegen. Wenn sie in die Familien gehen, sehen sie dass nicht nur die Frauen* die Reproduktionsarbeit leisten, also kochen, putzen usw. Die strengen Regeln der Gesellschaft fangen an sich zu lockern, Frauen* nehmen sich den Platz den sie brauchen, verändern ihren Blick auf die Welt und ihre Rolle und werden Teil des öffentlichen Lebens. Dies liegt auch an der Arbeit des Zentrums/ der Zentren der jungen Frauen*, indem sie die Jugend weiterbilden, Alternativen aufzeigen und diskutieren.

Exkurs: Autonome Frauenzentren in der BRD der 1970er Jahren

Wir wollen das Beispiel der autonomen Organisierung und Bildung von jungen Frauen* in Rojava nutzen um auf die Strategien der autonomen west-deutschen Frauenbewegung in den 1970er Jahren einzugehen, besonders der sogenannten Frauenzentren. Wir wollen dabei keine Gleichsetzung anstellen, sehen aber Parallelen in den Organisierungsformen der Feministischen Bewegung der 1970er Jahre und wollen uns fragen, welche Entwicklungen sie genommen haben. Darüber hinaus geht es um die Frage der Bedeutung für heute. Dieser Beitrag stellt dabei nur den Anfang einer Reihe strategischer Überlegungen dar.

Neben den Auseinandersetzungen innerhalb des SDS Ende der 60er Jahre, die wohl vielen geläufig sind, und den damit verbundenen Abspaltungen mancher Feminist*innen, kam es Anfang der 1970er Jahre zu einem Anstieg verschiedener Frauen*gruppen und feministischen Organisierungen in der BRD. Die Zeit der 68er, das veränderte politische Klima, das Aufkommen einer antiautoritären Bewegung und die Kampagne gegen den §218 führten (u.a.) zum Aufschwung der neuen feministischen Bewegung. Die Frauenbewegung der 70er Jahre stand im Zeichen der Selbsterfahrung, Selbstverwirklichung, der Analysen und dem Aufbau von feministischen Gegenkulturen. Die Zeit war geprägt von einem Prozess des „Sich – Kennenlernes“ als Frauen*, dem entwickeln eigener Identitäten und Praktiken. Es entstanden die sogenannten Selbsterfahrungsgruppen, unzählige kulturelle und politische Projekte, Archive, Bibliotheken und die ersten Frauenhäuser. Viele der antifeministischen Klischees, die wir heute noch kennen, stammen aus der Zeit, in der der Feminismus durch einen kreativen und selbstbewussten Findungsprozess geprägt war. Es entstanden verschiedenste Gruppen und Zusammenschlüssen, die lose und in Netzwerken zusammen arbeiteten. In dem Zuge bildeten sich auch die ersten sogenannten „Frauenzentren“. Wir möchten hierbei nicht auf die verschiedenen Ideologien/ Analysen/ Feminismen eingehen, die diese Zeit prägten, eher wollen wir die Form der Organisierung betrachten. Zu Beginn trafen sich die Frauen*Lesben*Trans*Inter* zumeist in privaten Räumen oder in Räumen anderer Organisationen, später mieteten sie Wohnungen an und daraus bildeten sich die „Frauenzentren“. Bis Ende der 1970er Jahre entwickelte sich in der BRD das dichteste Netz an „Frauenzentren“ (neben der Schweiz) in ganz Europa. Diese Zentren waren Orte für die verschiedenen Initiativen und Gruppen, politische Diskussionen und Veranstaltungen, Weiterbildungen, Aktionsplanungen, Informationsweitergabe, aber auch Anlaufstelle für neue Interessent*innen, also Kontaktstellen.
Es bildeten sich diverse Gruppen, die Wissensvermittlung, politische Auseinandersetzung, praktische Kenntnisse und Kulturelle Aktivitäten organisierten. Es entstanden Lesekreise für feministische „Klassiker*innen“, es wurden Auseinandersetzungen zu den Themen Herrschaft, Sexualität, Familie, Gewalt gegen Frauen*, Schwangerschaftsabbrüche, Krebsvorsorge uvm. geführt, Theater- und Musikgruppen gegründet und weitere praktische Kenntnisse vermittelt, wie z.B. Auto und Fahrrad fahren, Elekto-reperaturkurse etc. Außerdem wurde 1972 das erste sogenannte Frauenfest gefeiert. All diese Aktivitäten fanden im Umfeld oder in den Frauenzentren statt. Somit waren die Zentren Orte der feministischen Organisierung, Weiterbildung, kulturellen Lebens und politischen Kampfes. Durch ihren offenen Charakter erreichten sie eine Vielzahl von FLTI*Personen und dienten darüber hinaus als Orte der politischen Agitation. Außerdem waren viele der feministischen Gruppen an die Struktur der Zentren angebunden und so miteinander vernetzt. Man kann sie nicht als starre und feste Organisation verstehen, dennoch gab es auch durch sie eine Verbindung und somit gemeinsame Rückkopplung der verschiedenen Projekte/ Gruppen. Zeitgleich entwickelte sich eine Frauenforschung, Frauenwerkstätten, Verlage, Buchläden, Archive und viele weitere Einrichtungen, die eine autonome feministische Gegenkultur erschufen.
In all der Vielfalt blieb die gegenseitige Kritik natürlich nicht aus. Eine große Kritik an den verschiedenen Projekten, aber auch an den Frauenzentren kam aus der orthodox-marxistischen Bewegung, die den Frauenzentren mangelnde theoretische Grundlagen vorwarfen. Andererseits führte die Vielzahl an feministischen Projekten zu dem Problem der Zersplitterung. Mit der Zeit schwand die Anbindung der einzelnen Projekte an die Frauenzentren und somit häuften sich einerseits die Konflikte und Vernetzung und Austausch nahmen ab. Es kamen immer weniger FLIT*Personen zu den Treffen in den Frauenzentren, die Beteiligung sank. Die aktive Gestaltung der Zentren wurde immer schwieriger, die Projekte „verselbstständigten“ sich in dem Maße, dass die Gestaltung einer gemeinsamen feministischen Bewegung erschwert wurde. Damit einher ging zum Teil auch eine „Entpolitisierung“ der verschiedenen Initiativen, was auch auf eine fehlende Rückkopplung an die Zentren und fehlende gemeinsame theoretische Auseinandersetzungen zurückzuführen ist. Die Zentren mussten sich bald mit den ersten Auflösungserscheinungen auseinandersetzen.
Trotzdem hatten die Zentren und die einzelnen Projekte den Erfolg, ihre Themen in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. Sie waren offene Orte, die verschiedene Menschen erreichten und somit zu der Verbreitung feministischer Inhalte beitrugen. Außerdem kann man die Zentren als Form einen Organisierungsversuch betrachten, verschiedene Projekte und Strömungen zu vernetzen.

Den Weg den viele Projekte der „Neuen Frauenbewegung“ in der BRD gingen, ist der Weg der Institutionalisierung und Professionalisierung. Besonders deutlich wird dies wohl an den Entwicklungen der Frauenforschung, die als emanzipatorisches Projekt begann und nun fester Bestandteil der Gleichstellungs- und Familienministerien ist. Als etablierte Institution beschäftigen sich die Institutionen der Frauenforschung heutzutage mit Frauenqouten, Erziehungsgeld und der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Ein weiteres Beispiel finden wir in den Entwicklungen mancher autonomen Frauenhäuser. Aus der politischen Forderungen nach bezahlter Arbeit für Frauen* und der Weigerung weiter unbezahlte unsichtbare Reproduktionsarbeit zu leisten, dem Schluss die Arbeit gegen die gesellschaftliche Gewalt gegen Frauen* müsse der Staat finanzieren und der Analyse, eine Institutionalisierung würde mit politischer Veränderung und Anerkennung einhergehen und neben anderen realen Zwängen, kämpften die Frauenhäuser für den Erhalt von staatlicher Förderung. Im Nachhinein betrachtet, begaben sie sich damit auf den nicht mehr endenden Weg der Institutionalisierung und der damit einhergehenden Vereinnahmung des Staates. Staatspolitische Fördermittel sind an Bedingungen geknüpft (wie z.B. die Vergabe der Stellen an Menschen mit akademischen Abschlüssen) die hierarchielose, selbstorganisierte und autonome Arbeit verunmöglichen. Es entstand eine Abhängigkeit, die den Projekten ihre Autonomie und Selbstbestimmung nahm und sie immer weiter an staatliche Inhalte band, neben der Entstehung einer Lohnabhängigkeit für die Einzelnen Personen. Somit gingen z.T. auch politisch-radikale Forderungen unter. Im gleichen Zuge entwickelte sich aus horizontaler Zusammenarbeit – die mit Selbsterfahrungsgruppen (in denen die gemachten Unterdrückungserfahrungen in einen politischen Kontext und Analyse eingebunden wurden) begann – eine staatlich finanzierte Sozialarbeit. Doch das alles bedeutet nicht, dass die Frauenhäuser nicht unglaubliche Erfolge erzielten, besonders im Bezug auf die Sicherheit und Lebenssituationen der betroffenen FLIT*Personen. Unsere Kritik zielt nicht darauf ab, eine Bewegung und die politische Arbeit einer ganzen Generation und darüber hinaus zu diffamieren. Vielmehr wollen wir aus den Entwicklungen lernen und analysieren, wie aus einer z.T. herrschaftskritischen feministischen Bewegung, Institutionen geworden sind, die als frauenspezifische Sozialarbeiter*innen ihren Teil zum staatlichen Märchen von Gleichstellung und Gleichberechtigung beitragen und darüber viele ihrer radikal-feministischen Forderungen verloren haben, was die aktuelle radikal-feministische Bewegung weiter von ihr entfernt. Wir plädieren für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Geschichte, Analysen und theoretischen Grundlagen, wir müssen als aktuelle feministische Bewegung das Rad nicht neu erfinden. Wir müssen uns mit den Feminist*innen der früheren Generationen zusammensetzen und über neue Strategien diskutieren, ausloten ob wir noch gemeinsame Inhalte haben und inwieweit wir zusammenfinden können. In Anbetracht der antifeministischen Stimmung und den anstehenden Landtagswahlen (Sachsen…) sollte der Kontakt zu den jetzt noch geförderten Projekten so schnell wie möglich gesucht werden, damit bei ausbleibender Förderung und drohenden Einstampfungen der Projekte, vielleicht eine gemeinsame Basis besteht. Die Geschichte der sogenannten Frauenzentren erscheint uns dabei besonders relevant, weil dieses Konzept vielleicht erneut eine Möglichkeit für uns bieten könnte, über Szeneläden hinaus Menschen für feministische Inhalte zu begeistern. Das bedeutet nicht, dass wir neue Frauenzentren gründen müssen. In vielen Städten gibt es diese noch, auch wenn sie z.T. institutionalisiert sind oder kaum gemeinsame Ansichten bestehen. Dennoch gibt es vielleicht Möglichkeiten dort eigene Weiterbildungen und Projekte zu verwirklichen und somit wieder in inhaltliche Diskussionen zu geraten. Außerdem könnten die linksradikalen Zentren (Alternative, autonome, international(istisch)e etc.) über eine stärkere feministische Ausrichtung nachdenken. Wie z.B. über die Etablierung von internationalen FLIT*Treffen, Bildungen, Anlaufstellen für Betroffene Sexualisierter Gewalt als Form der Selbstverteidigung, feministische Kiezarbeit (nicht nur) für FLIT*s, Kulturellen FLIT*Gruppen etc. Wir sollten in die Schulen und Jugendzentren unserer Nachbarschaften gehen und dort Kontakt zu den jungen Menschen, insbesondere FLTI*s und Mädchen* herstellen. Vielleicht können auch die männlichen* Genossen eine Kinderbetreuung aufbauen. All dies wären Möglichkeiten in Diskussionen zu treten und eine feministische – selbstorganisierte Basisarbeit in den Kiezen zu fördern.

Warum wir die Zentren der Jungen Frauen* in Rojava als Ansatzpunkt nehmen, um diese Diskussion aufzumachen, ist der Faktor der Bildung und Kommunikation. In Rojava können wir sehen, wie innerhalb der Gesellschaft selbstorganisierte Strukturen aufgebaut werden. Natürlich darf man hier das Prinzip der Avantgarde nicht verschweigen. Auch wenn wir nicht für eine Kader*innenorganisation plädieren, möchten wir uns für den Aspekt der Bildung stark machen. Junge Menschen, insbesondere FLIT*Personen und Mädchen* weiterzubilden, mit ihnen zu diskutieren, ihre Bedürfnisse zu erfragen, muss wichtiger Bestandteil herrschaftskritischer-feministischer Politik sein. Dafür müssen Widersprüche und Konflikte ausgehalten werden. Wenn wir versuchen uns in den Nachbarschaften zu organisieren, können wir nicht davon ausgehen keine Diskriminierungserfahrungen zu machen oder widerspruchsfrei zu handeln. Wenn wir über patriarchale Unterdrückung und Herrschaft sprechen und versuchen eigene Auswege und Gegenstrategien zu kreieren, werden wir auch über schmerzhafte Erfahrungen und Gewalt reden müssen. Wir müssen aufhören uns in der Illusion von „diskriminierungsfreien Schutzräumen“ zu verlieren und unsere Kämpfe als Teil der Gesellschaft und gegen ihre zerstörerischen Realitäten führen. Dabei kann uns die erlebte Solidarität und das Gefühl gemeinschaftlichen Protestes oder gar Widerstandes wieder neue Kraft geben, da wir unsere eigenen Diskriminierungs- und Unterdrückungserfahrungen als Ausgangspunkt unseres Kampfes verstehen. Natürlich bedeutet dies vielleicht schmerzliche Erfahrungen zu machen oder nicht endende Diskussionen über „Die Natur der Frau*“ zu führen, aber wir haben die Chance den staatlichen Mythos der Gleichberechtigung der Frau* zu entzaubern, über die Unterdrückung und Tyrannei von „Familie und Beruf“ zu sprechen und den rechtspopulistischen und rassistischen Diskurs entgegenzuwirken, der auf der einen Seite weiße, deutsche Frauen* zum Eigentum des weißen Mannes* und des deutschen Volkes erklärt und auf der anderen Seite zur maßgeblichen Verschlechterung der Situation von migrantisierten/ migrantischen FLIT*Personen beiträgt. Offene selbst-verwaltete Anlaufstellen für feministische Politik bedeuten ein Sprachrohr und Handlungsoptionen zu schaffen und somit dem antifeministischen, rassistischen Diskurs entgegenzuwirken.


1 Wenn wir von „der Bewegung“ sprechen, meinen wir damit die (nicht nur) kurdische PKK – nahe Bewegung in Rojava, die durch die PYD, YPG und YPJ, der Jugendstruktur, Frauenstruktur und vielen weiteren zivilen und nicht – zivilen Organisationen vertreten wird.

2 Jineolojî bedeutet soviel wie „Wissenschaft der Frau“. Wir werden im späteren nochmal darauf eingehen, wenn wir über das Camp der Jineolojî berichten. Grundsätzlich geht es darum eine eigene nicht-sexistische, antipatriarchale Wissenschaft zu entwickeln, die Geschichte neu zu schreiben, zu forschen und Wissen zu verbreiten, aber auch praktische Dinge an Mädchen* und Frauen* zu vermitteln, wie z.B. Auto fahren, schwimmen etc.