1. Bericht Frauen*delegation Rojava: Internationalistische Kommune Rojava

„The right life can not be lived in the wrong society, but the right struggle can be fought wherever the systems of domination oppress the people. Revolutionary persons love their people and their homeland, but don’t care about borders and states. Solidarity is the tenderness of the peoples, and life starts where the state ends. And that’s modern internationalism.“ – Internationalist Commune Rojava

Eingeladen zu der Frauendelegation haben die Freund*innen und Genoss*innen der autonomen Frauenstruktur der internationalistischen Kommune Rojava (Internationalist Commune of Rojava – ICR). Deshalb werden wir unseren ersten Bericht nutzen, die ICR kurz vorzustellen.

Entstanden ist diese im Mai 2017 als physischer Ort, aber auch Struktur, die es Internationalist*innen ermöglichen soll, nach Rojava zu kommen um hier zu lernen und Teil der gesellschaftlichen radikal-demokratischen Strukturen zu werden. Begonnen hat alles mit Diskussionen zwischen Internationalist*innen aus dem Mittleren Osten, Afrika, Asien, Ozeanien, Amerika, Europa und den revolutionären Strukturen in Rojava, vor allem der Jugendbewegung [1]. Seit dem Beginn der Revolution 2012 sind viele Menschen aus allen Regionen der Welt nach Nord Syrien gekommen, um sich hier auf unterschiedliche Weise einzubringen. Dies war mit verschiedenen Komplikationen verbunden und oft gab es Schwierigkeiten, den richtigen Weg der Unterstützung zu finden, ganz besonders, wenn Menschen sich in den zivilen Strukturen einbringen wollten. Um dieser Situation zu begegnen und einen kollektiveren und organisierteren Weg für die internationalistische Unterstützung zu finden, wurde zusammen mit der Y.C.R. (Yekitiya Ciwanen Rojava – Vereinigung der Jugend Rojava) die Internationalistische Kommune ins Leben gerufen. Sie ist eine der 3732 organisierten Kommunen [2] in Rojava und somit Teil der (gesellschaftlichen) Räte – Strukturen.

Die Arbeit der ICR basiert auf den Prinzipien und Strukturen der demokratischen Autonomie, wobei ihr Anspruch darauf liegt den internationalistischen Charakter der Revolution in Rojava zu betonen. Sie sind ein Ort für alle Internationalist*innen, die nach Rojava kommen um zu lernen und zu unterstützen. So ist ein großer Teil ihrer Arbeit die Organisierung der Internationalistischen Akademie (Akademie Helîn Qerecox) in der, von kurdischer Sprache bis Bildungen zur Ideologie, Wissen vermittelt und erarbeitet werden kann. Außerdem sind sie Teil einer Baum – Kooperative zur Wiederaufforstung Rojavas und organisieren die Kampagne „Make Rojava Green Again!“
Der Slogan der ICR lautet: „Learn, Support, Organize!“ – was sie selbst als gute Zusammenfassung ihrer Arbeit beschreiben. Im Mai 2018 feierten sie ihr einjähriges Bestehen. Eine Zusammenfassung über das letzte Jahr und weitere Interviews und aktuelle Informationen, findet ihr auf ihrem Blog.

Die internationalistische Kommune Rojavas hat eine eigene autonome Frauenorganisierung, so wie es in der Bewegung in Rojava überall der Fall ist. Der Hauptgrund warum sich die Frauen in der Kommune autonom organisieren, ist, um sich selbst und ihre Arbeit zu stärken. Für sie besteht in den autonomen Frauenstrukturen/ der autonomen Frauenbewegung in Rojava die besondere Stärke und das größte Potential der Revolution. Es ist der Schlüssel im Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat und ein Weg um kommunale und freiere Weisen des Arbeitens, Lebens und Kämpfens zu entwickeln. Deswegen haben sie autonome Treffen und einen autonomen Platz in der Kommune. Ihre Arbeit ist eng verbunden mit der Arbeit der „Jungen Frauen*“ und allen anderen Frauenstrukturen in Rojava. Sie kooperieren unter anderen mit der Jineolojî, verschiedenen Kooperativen und dem Frauendorf Jinwar. Außerdem beteiligen sie sich ebenfalls an den anderen Projekten der ICR, wie der Akademie. Ein Ziel von ihnen ist es außerdem, ein Netzwerk mit feministischen Gruppen, Personen etc. in der ganzen Welt aufzubauen, um über eine globale Frauen*bewegung zu diskutieren und diese zu forcieren. Alle Frauen* sind eingeladen in die ICR zu kommen um sie zu unterstützen und aktiver Teil der Frauenrevolution in Rojava zu werden.
Es wird ein Interview mit den Frauen* der internationalistischen Kommune im Laufe der Zeit folgen, dort werden sie genauer ihre Arbeit beschreiben und sich auch zu ihren Gedanken zu Internationalismus und einer globalen Frauenbewegung äußern.

Exkurs: Internationalismus

An dieser Stelle möchten wir die Frage nach der möglichen Gestaltung eines neuen Internationalismus wieder aufnehmen. Für uns als IZ Dresden ist und war diese Frage zu jedem Zeitpunkt Ansporn. Auch unsere Delegationsreisen sind Suchbewegungen, nach Möglichkeiten einer globalen, solidarische und organisierten Zusammenarbeit. Wie und was können wir glokal (global und lokal) lernen, wie können revolutionäre Kämpfe auf die eigene Region übersetzt werden? Muss ich dazu woanders hinreisen? Wie können wir mit dem Revolutionstourismus nach Rojava umgehen? All diese Fragen, sollen und haben uns auch auf diese Delegation begleitet. Zu Beginn möchten wir euch deswegen auf unser Gründungspapier und erste Auseinandersetzung mit der Geschichte des Internationalismus hinweisen. Wir arbeiten kontinuierlich daran weiter, um aus den verschiedenen Internationalismen der Geschichte zu lernen, Revolutionen, Kämpfe und Aufstände heute genauer zu beleuchten und mit diesem Wissen zu einer gemeinsamen Praxis zu gelangen, die das lokale und das globale zusammen denken kann. Warum wir das tun?

Weil wir lernen müssen. Lernen was zu tun ist, denn es tobt ein “vierter Weltkrieg” wie es die Zapatistas beschreiben. Ein “Krieg des Kapitals gegen die Menschheit” (John Holloway) und wir wissen nicht wie wir uns verhalten sollen. Die Zeiten sind eindeutig unsicherer geworden, wir erleben derzeit multiple Krisen – ökologische und soziale Krisen die unmittelbar mit der Weltsystemkrise des Kapitalismus und der Krise der parlamentarischen Demokratie zusammenhängen. Die Krise ist zum Mittel des Regierens und sich Regieren-Lassens geworden.
In den letzten Jahren waren wir alle Augenzeug*innen einer bürgerlich-reaktionären und rassistischen Krisenlösung direkt vor unsere Haustür, ob in Form der PEGIDA, AfD oder anderer rassistischer Mobs. Im Fahrwasser autoritärer Sparpolitik und der resultierenden sozialen Zerwürfnisse haben in ganz Europa nationalistische, rassistische und antifeministische Krisenbewältigungsstrategien an Bedeutung gewonnen. Kulturalistische und rassistische Deutungen der Widersprüche des globalen Kapitalismus haben seit dem Ausbruch der Krise verschiedene “Schuldige” gefunden. Wenn wir uns also einem globalen Angriff des Kapitals gegenüber sehen, muss eine Perspektive auf Befreiung auch global sein. Auch die Emanzipation hat ihre Chancen in der Krise, denn:

“Wir müssen diesen Krieg gewinnen: ihn zu verlieren hieße, die mögliche oder wahrscheinliche Vernichtung menschlichen Lebens zu akzeptieren. Mit den „Krieg gewinnen müssen“, meine ich nicht, die Bankiers oder Politiker an den Lampenpfählen aufzuknüpfen (wie attraktiv auch immer dies sein mag), sondern ich meine, dass wir die Dynamik der Zerstörung des Kapitals brechen müssen. Hört auf das Kapital zu machen, hört auf, zu arbeiten. Lasst uns stattdessen etwas Vernünftiges machen, etwas Sinnvolles, lasst uns die Grundlagen für eine andere Weise des Lebens legen.“ John Holloway

Auf der Suche nach Möglichkeiten des Widerstandes und Entwicklung einer globalen Gegenmacht, ist es für uns unerlässlich die bestehenden Brüche und Risse innerhalb des globalen Systems zu suchen, kritisch zu prüfen und Verbindungen aufzubauen. Dafür setzen wir uns u.a. mit der Revolution in Rojava oder Chiapas auseinander, sind Teil der antiautoritären europaweiten Plattform „Beyond Europe“ und versuchen mit dem „Internationalistischen Zentrum Dresden“ eine Relaisstation zu schaffen, die es möglich macht verschiedene Kämpfe auf unseren lokalen Kontext zu übersetzen. Wir versuchen dabei aus den Fehlern vergangener Internationalismen zu lernen, keine passive „Unterstützungsarbeit“ zu leisten, sondern in den Austausch und in die gemeinsame Organisierung zu gelangen. Wir wollen verstehen, wie das Lokale mit dem Globalen zusammenhängt und daraus Strategien entwickeln, die an die Realität vor unserer Haustür geknüpft ist.

„Die Aufgabe der Revolutionär*innen ist nicht, die ‘Bevölkerung’ von hohlen Exteriorität eines wie immer gearteten ‘Gesellschaftsprojektes’ aus zu verwandeln. Vielmehr müssen sie von ihrer eigenen Existenz ausgehen, von den Orten, wo sie wohnen, von den Gebieten, die ihnen vertraut sind, von den Bindungen, die sie mit dem vereint, was um sie herum entsteht. Die Identifikation des Feindes, wirksame Strategien und Taktiken gehen vom Leben aus und nicht von einem vorhergehenden Glaubensbekenntnis. Die Logik anwachsender Stärke ist alles was der Logik der Machtübernahme entgegengestellt werden kann. Voll zu leben ist alles, was dem Paradigma der Regierung entgegengehalten werden kann.“ – Unsichtbares Komitee, An unsere Freunde

Das alles klingt erstmal schön und gut, aber wie genau soll das praktisch aussehen? Wir haben darauf auch keine fertige Antwort, dennoch müssen wir „fragend Vorranschreiten“ (Zapatistas) und neben all den Diskussionen um Strategiefindung, neben aller Kritik und Bedenken in eine Praxis gelangen. Denn:

„Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge“ (Kurt Marti)

Für unsere Delegationsreisen bedeutet das z.B. dass wir uns 2015/16 in Griechenland die Selbstorganisierung der Geflüchteten zusammen mit den Genoss*innen vom „Antiautoritären Raum“ angeschaut haben, um dann Parallelen zu der bundesdeutschen und lokalen „Social center for All“ Bewegung zu ziehen. Wir haben versucht diese in Dresden mit aufzubauen und die Selbstorganisierung von geflüchteten Menschen zu stärken, alles in Bezug auf das Wissen, das wir in Griechenland gesammelt haben. Zeitgleich zur Delegation durch Rojava fand eine Delegation nach Chiapas zu den Zapastistas statt, um auch von ihnen zu lernen und genauere Einblicke zu bekommen. Für die Frauendelegation nach Rojava gilt Ähnliches. Wir versuchen einen Überblick über die Mechanismen und Strategien der Frauenrevolution zu bekommen, um diese dann in einen lokalen Kontext zu setzen. Wir wollen uns fragen, was „Selbstverteidigung“ im Dresdner Kontext bedeuteten kann, was wir bereits haben oder aufbauen müssen, was sich lohnt zu verteidigen. Wir wollen prüfen, welche Form der autonomen Frauen(FLTI*)organisierung vor unserer Haustür Sinn machen oder eben nicht. Dafür müssen wir auch beachten, was die Frauenbewegungen in Deutschland bereits für Errungenschaften und Strategien hatte und warum sie vielleicht gescheitert sind in Bezug auf eine globale und radikale Befreiung. Wir möchten über die Szene hinaus mit Frauen* (FLTI*) ins Gespräch kommen, ihnen von dem Gesehenen berichten und sie nach ihren Bedürfnissen und Problemen fragen. Wir organisieren uns bereits zusammen mit dem Verein deutsch-kurdischer Begegnung und dem UTA Frauenrat e.V. Diese Beziehungen und Freundschaften müssen vertieft werden. Inzwischen gibt es im Internationalistischen Zentrum auch einen Internationalen Frauentreff. All diese Anlaufpunkte bieten die Möglichkeit über eine globale Frauensolidarität zu sprechen und zu leben. Auch Dresden ist inzwischen eine Stadt, in der viele verschiedene Menschen wohnen. Migrantische und Nicht – Migrantische Frauen*Lesben*Trans*Inter*Personen (FLTI*) können zusammen kommen und voneinander lernen. Wir haben die globalen Perspektiven längst vor der eigenen Haustür. Wenn wir diese zusammenbringen und widerständige und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen, haben wir die Chance Internationalismus praktisch zu machen. Wir müssen durch eine internationalistische FLIT*organisierung die rassistischen und kapitalistischen Spaltungen überwinden und durch solidarische Beziehungen und Netzwerke mit kommunalem Leben experimentieren. Damit wollen wir sagen: Es ist nicht immer notwendig in die Ferne zu gehen. Für uns ist es unerlässlich Kontakte und Netzwerke zu knüpfen, sich durch Delegationen Wissen anzueignen und neue Inspiration zu sammeln, Revolution global zu denken und nicht im eigenen Sumpf zu versauern und darüber im Eurozentrismus zu verharren. Dennoch bleibt der Kampf in der eigenen Nachbarschaft und Region die Basis unserer Politik.

„Alles ist lokal, einschließlich des Globalen; nur müssen wir es erst lokalisieren.“ – Unsichtbares Komitee, An unsere Freunde

Abschließend legen wir euch den Text von Anne-Sophie Mariposa veröffentlicht über „Kurdistan Report“ ans Herz, der nochmal spezifisch auf die Fragen nach einem revolutionären Internationalismus in Bezug auf Rojava eingeht und die Frage des Revolutionstourismus und eigenen Privilegien diskutiert.

Wir werden im Laufe unserer Berichte weiter auf die Möglichkeiten einer Übersetzung der Frauenrevolution in Rojava auf einen lokalen Kontext eingehen. Wir möchten damit Impulse setzen und keine fertigen Antworten. Wenn ihr also Fragen, Anregungen oder Kritik habt, dann meldet euch bei uns! Außerdem sind alle eingeladen mit uns zu diskutieren! Entweder in kleinen gemütlichen Kaffeerunden oder bei möglichen Veranstaltungen. Wenn ihr also Interesse habt, dann informiert euch auf unserer Homepage über eventuelle Termine oder schreibt uns einfach an, ladet uns zu euch ein und dann können wir gemeinsam darüber ins Gespräch kommen!


1 Die Jugend ist in Rojava ebenfalls in das Rätesystem mit eingebunden. Sie haben eine eigene Räte- und Jugendstrukturen. Um mehr darüber zu erfahren empfehlen wir euch einen Blick in das PDF von Tatort Kurdistan, ab Seite 184: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/VSA_Flach_ua_Revolution_in_Rojava.pdf

2 Die Kommunen in Rojava sind die kleinste demokratische Einheit im demokratischen Rätesystem von Rojava. Eine Stadt ist in verschiedenen Kommunen organisiert (meistens bestehen sie aus ein paar Straßen) zu deren Versammlungen jede Person kommen kann, ihre Anliegen vortragen und an gesellschaftlichen Lösungen teilhaben. Sie kümmert sich um die Belange der Menschen in der Kommune, Verwaltet diese und bildet damit den Grundstein des Rätesystems. Kommunen sind wiederum untereinander in Räten der Stadtteile organisert, dann in Städten, Regionen und Kantonen. Wir empfehlen euch einen Blick in das PDF von Tatort Kurdistan ab S.171 („Die Kommune als Zentrum der Demokratischen Autonomie“) um mehr über die Organisierung der Kommunen in Rojava zu erfahren. Es wird in den folgenden Berichten immer wieder um den Aufbau und das Arbeiten in den Kommunen gehen, da sie eine der grundlegenden politischen Strukturen in der demokratischen Gesellschaft darstellen: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/VSA_Flach_ua_Revolution_in_Rojava.pdf